„Ausgepowert: Das Ende des Ölzeitalters als Chance“ von Marcel Hänggi rezensiert von Karin Pointner

Bei mir zu Hause leuchtet die Energiesparlampe durch Ökostrom. Und das nicht erst seit dem Vorfall in Fukushima. Ich fand Atomenergie spätestens seit dem Lied „Burli“ von der EAV uncool, und da war ich gerade mal vier Jahre alt. Energietechnisch gesehen bin ich also mit Ökostrom in der Steckdose und einem Regenbogen-Windrad in der Blumenkiste ausgerüstet – ein richtiger Gutmensch, oder?! Immerhin sagt Eva Glawischnig von den österreichischen Grünen auch immer, dass erneuerbare Energietechniken super sind…Sind sie auch, aber nicht wenn trotzdem jeder mit dem Auto zur Arbeit fährt, seinen Laptop den ganzen Tag auf Hochtouren laufen lässt, nebenbei noch die Klimaanlage surrt und man mit dem Billigflieger nach Berlin düst. Denn wir sprechen zwar über schlechte CO2-Bilanzen, „saubere“ Energien und wissen das Erdöl nicht gut für die Umwelt ist, verabsäumen es aber uns den Kopf über wirkliche Alternativen, also eine gerechtere Gesellschaft durch Ressourcenumverteilung und wesentlich niedrigeren Energieverbrauch, zu zerbrechen. Niemand sagt fossile Energie sei nachhaltig aber wir scheinen irgendwie nicht anders zu können. Auch Österreich ist momentan meilenweit von den Zielen des Kyoto-Protokolls (CO2-Reduktion bis 2012 um 13% gegenüber dem Wert aus dem Jahr 1990) entfernt und ist international gesehen alles andere als ein „Umweltmusterland“ sondern ein schwerfälliger Nachzügler. Und das obwohl Photovoltaik und Solarstrom momentan so unglaublich „in“ zu sein scheinen…Österreich fördert den Ausbau von „sauberem“ Strom aber vorerst sind die staatlichen Fördermittel schneller ausgeschöpft als Eva Glawischnig „Ökostromgesetz“ sagen kann. Nur einer bleibt optimistisch und strahlt mit den EHEC-Gurken um die Wetter: Umweltminister Niki Berlakovich denn „abgepfiffen“ wird erst am Schluss, also 2012. Bis dahin möchte der Umweltminister noch viel erreichen, aber reicht dafür ein Ausbau der erneuerbaren Energien, Häuser mit Öko-Wärmedämmung und Pelletsheizung und die Forderung nach einer billigeren Jahreskarte für die Öffis?

Der Schweizer Wirtschaftsjournalist Marcel Hänggi hat sich in seinem Buch „Ausgepowert. Das Ende des Ölzeitalters als Chance die Frage gestellt, ob „sauber“ produzierte Energie wirklich eine realistische Alternative für die heutige Gesellschaft ist, denn immerhin prägt Energie unser gesamtes Leben – die Art wie Nahrung produziert wird, wie wir uns bewegen, was wir konsumieren, wie die Macht von Politik und Wirtschaft arbeitet. Hänggi zeigt in seinem Buch auf, dass wir den Klimawandel und die international hoch gesteckten Ziele, den CO2 Verbrauch drastisch zu verringern, nur dann verwirklichen können wenn wir unser Verhältnis zur Energie vollkommen ändern denn momentan fehlt die Bereitschaft zum Überdenken unserer Energienutzung und der Wille der Politik. Hänggi schafft es, Möglichkeiten und Alternativen aufzuzeigen ohne mit erhobenem Zeigefinder den Öko-Moralapostel zu spielen. Spannend sind die historischen Exkurse durch die der Autor zum Beispiel zeigt, wie Energie die Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft beeinfluss hat, und dass eine Industrialisierung auf Basis von Wind- und Wasserkraft eine andere Welt hervorgebracht hätte als wir sie heute kennen. Hänggi schafft es spannende Zusammenhängeaufzuzeigen, ohne dabei absurd oder utopisch zu wirken – so zeigt Hänggi wie Sklaverei mit der Industrialisierung zusammenhängt, wie das Jagen mit dem Pferd zur Änderung des Geschlechterverhältnisses bei den Indianern beigetragen hat, wie Armut und der Zugang bzw. fehlende Zugang zu Elektrizität miteinander verbunden sind, was man von den Amish bezüglich Energieautarkie lernen könnte und warum Energie nie sozial neutral sein kann denn schließlich bedeutet Energie auch Macht. Hänggis Buch überzeugt durch globalgeschichtliche Zusammenhänge und fundiertes Fachwissen.

Wie viel Energie braucht der Mensch und wozu?

Das Buch beleuchtet die vielen Facetten des Themas Energie auf spannende, unterhaltsame, logische und nicht-moralisierende Art und Weise und deckt dabei einen riesigen Themenbereich ab, denn die Kapitel befassen sich u. a mit Nahrungsmittelproduktion, Landwirtschaft, Transport, Mobilitätsstrukturen, Machtkonzentration, Wegwerfgesellschaft, persönlicher Freiheit, dem Potenzial von erneuerbaren Energien usw.

Hänggi zeigt, dass Energie sehr eng mit Macht verbunden ist und dass es einfach schildbürgerlich ist Elektroautos zu propagieren und gleichzeitig an einer Mobilitätsstruktur festzuhalten die mit dem Verbrennungsmotor entstanden ist. Bevor wir also E-Bikes bewerben müsse man sich zuerst von den Erwartungen an Geschwindigkeit, Leistung usw. lösen die mit einer Raumplanung der kurzen Wege von Seiten der Politik einhergehen müssen. Kurztrips per Flugzeug sind in einer nachhaltigen Welt einfach nicht nachhaltig.

Liest man Hänggis Buch, wird einem bewusst, dass die Forcierung von erneuerbaren Energien nur dann etwas bringt, wenn wir unser Denken und Kosumverhalten umstellen (Brauche ich wirklich einen neuen Laptop der „in“ ist und somit ein Modeaccesoire? Sind Autos die Treibgase besser filtern wirklich umweltfreundlich? Lässt sich Plastik reparieren?) und die Fossilenergiewirtschaft drastisch reduziert wird. Denn das heutige Verbrauchsniveau wird sich ganz klar ändern müssen da erneuerbare Energien nach anderen Infrastrukturen, neuen Speichermöglichkeiten, Dezentralisierung der Versorgungsstrukturen und überhaupt einem neuen Energienutzungsverhalten verlangen. Da fossile Energie unsere Wirtschaft, ja unser Gesellschaft, zu dem gemacht haben was sie ist, ist es notwendig Energie-Alternativen kritisch zu reflektieren und diskutieren denn die  Frage ist nicht ob die Welt ihren Energiebedarf senken soll sondern wie genau sich saubere Energien in ein System einfügen können das durch nicht erneuerbare Energie entstanden ist? Weniger teure Energie muss die Zukunft sein. Wir müssen einsehen, dass weniger Energie zu haben kein Unglück ist. Wir müssen dafür zwar die Konsumgesellschaft und Wachstumswirtschaft aufgeben aber sollten uns klar sein, dass wir dadurch langfristig gesehen keine Lebensqualität verlieren da die Folgen des Klimawandels noch schlimmer wären, so Hänggis Plädoyer.

Sein Fazit:

–       Weniger Energieverbrauch ist ein absolutes Muss

–       Es braucht mehr und bessere Energien in manchen Weltregionen und andere bzw. viel weniger Energie weltweit

–       Atomenergie-Stopp

–       Fossile Energie muss schrittweise vom Markt genommen werden (Vorsorgeprinzip)

–       Es bedarf auch für Energie ökologischer und sozialer Mindesstandards

–       Raum-, Siedlungs-, Verkehrs- und Handelspolitik der kurzen Wege

–       Globale CO2-Abgabesteuer

–       Verzicht notwendig durch den man aber viel gewinnt: Bsp. weniger materieller Wohlstand aber weniger Ungerechtigkeit, weniger Verkehr aber mehr Mobilität durch kurze Wege (Freiheiten beschränken um Freiheiten zu ermöglichen)

–       Energie- und Umweltprobleme lassen sich nicht alleine durch technische Mittel lösen, es bedarf einer Neugestaltung der Gesellschaft und Veränderung der bestehenden Machtverhältnisse

Das im April diesen Jahres erschienene Buch ist nicht nur lesenswert, sondern quasi ein Muss für alle, die sich kritisch mit dem Thema erneuerbare Energien und Energiealternativen auseinandersetzen wollen.

 

Marcel Hänggi, „Ausgepowert: Das Ende des Ölzeitalters als Chance“

Broschiert: 368 Seiten

Verlag: Rotpunktverlag, Zürich

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