20 Scouts, 2 Boote, 1 Biber

Lehrreich und lustig: Biorama-Leser auf Paddeltour im Nationalpark Donau-Auen.

Hier, östlich von Wien, darf die Donau noch Fluss sein. Nur kurz vor Wien, in der Wachau, fließt sie sonst noch frei und unreguliert. Weitestgehend ohne menschliche Einflüsse nimmt der Strom im Nationalpark Donau-Auen seinen Lauf; soweit das halt geht zwischen zwei Großstädten. „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier zwischen Wien und Bratislava in einem Ballungsraum mit 3 Millionen Menschen leben,“ sagt eine der beiden Rangerinnen, während wir gemächlich (und anfangs noch leicht unkoordiniert) in den Altarm einpaddeln: zwei Boote, 20 Scouts, geführt von zwei Nationalpark-Ranger. Dass man es nicht ganz vergisst, dafür sorgen zumindest die Geräusche am Himmel immer wieder. Denn Bratislava und Wien, das sind nicht nur zwei europäische Hauptstädte, sondern auch zwei internationale Flughäfen.

„Totholz” als Lebenselixier

Doch links und rechts von uns: Auwald. Schnell wachsendes Weichholz, umrankt von wildem Wein, Hopfen, Efeu und anderen Schlingpflanzen, Brennessel und überall das aus Indien eingeschleppte Springkraut auf feuchtem, fruchtbaren Uferschlamm. Vom braunen Ufer sieht man dieser Tage mehr als sonst. Es ist Hochsommer, seit Wochen brütend heiß und dementsprechend Niedrigwasser. Der Altarm ist hier gerade noch etwas tiefer als einen Meter. Am Uferbewachs und an den Hochwasserrändern auf den Weidenstämmen sehen wir, dass der Spiegel üblicherweise mindestens einen, eineinhalb Meter höher steht. Gut möglich, dass wir gleich aussteigen müssen, um die Boote händisch über eine seichte Furt zu ziehen. Wir paddeln kräftig – und schaffen es schließlich doch noch drüber. Aber den Grund streifen nicht nur die Paddel, sondern spüren wir auch unter unseren Füßen.

Am Ufer, auf beiden Seiten, ließen sich Fährten lesen. Von großen und kleinen Wasservögeln, Mäusen, Bibern. Einer von uns entdeckt und deutet auf ein Tier!. „Eine Schermaus,“ erklärt die Rangerin. „Wir haben Glück, so eine sieht man vielleicht einmal im Jahr“.

Betrunkene Hirschkäfer

Während wir weiterpaddeln kurzweilige Erläuterungen zur Vegetation rundum. Auffällig sind die vielen abgestorbenen, blätterlosen Bäume und Stämme. In forstwirtschaftlich genutztem Wald, Monokulturen meist, sind sie mehr als selten. Aus Angst vor der Ausbreitung des Borkenkäfers wird das „Totholz“ dort schnell entfernt. Hier, im natürlichen Ökosystem mit seiner Fülle an Arten und unterschiedlichen Standorten, machen ein paar Borkenkäfer gar nichts. „Es ist ohnehin irreführend, dass die toten Bäume „Totholz“ heißen“, meint die Rangerin. „Eigentlich ist „Totholz“ das ultimative Lebenselixier. Nirgendwo sonst leben derart viele Vögel und Insekten.“ Das Insekt des Jahres 2012 etwa, der Hirschkäfer. Seine Larven fressen sich sieben Jahre durchs abgestorbene Holz, bevor er sich geschlüpft einen gemächtigen Sommer der Arterhaltung hingeben darf. Heute haben wir kein Glück, aber manchmal sieht man einen betört durch die Gegend fliegen. Das hilflos berauschte Torkeln des Hirschkäfers ist dann kein Zeichen von Geilheit, sondern dem Baumsaft geschuldet, der bei Hitze schnell vergärt. Viele der betrunkenen Käfer stürzen ab und verenden im Wasser.

Der Schwanzschlag des Bibers

Es ist kein Käfer und auch kein Holz, das einer von uns dort vorne vermeintlich im Wasser ausgemacht hat. Wir paddeln langsam und leise weiter. Der schwarze Punkt wird größer. Wirklich, ein Biber! Eigentlich sind die Tiere nachtaktiv. Aber der Nachwuchs aus dem Frühjahr ist halbwüchsig und erkundet schon auch einmal bei Tageslicht die Gegend. An die 400 Biber gibt es hier in der Gegend. „Eigentlich sind die ja schädlich und nagen alle Bäume um“, meint eine Paddlerin. „Das kann man so nicht sagen,“ korrigiert eine der beiden Ranger während sie einen mitgebrachten Biberschädel und den dichten Balg eines Bibers durchreicht. „Zwar fällen die Biber in Ufernähe Bäume, um an Rinde und Blätter zu gelangen. Aber die Bäume der Weichen Au wachsen derart schnell und sind im Grunde nicht umzubringen. Eine vom Biber gefällte Weide zum Beispiel stirbt nicht ab, sondern treibt meist gleich wieder aus.“

Schlechte Erfahrungen mit dem Menschen hat dieses Jungtier vor uns, von dem bloß Augen und Nasenspitze aus dem Wasser ragen, offensichtlich noch keine gemacht. Zweimal lässt es uns nah herankommen bevor es mit lautem Schwanzschlag an der Wasseroberfläche abtaucht. Dieses Signal ist vergleichbar mit dem Pfeifen des Murmeltiers und soll die Artgenossen warnen. Wir sehen also gefährlich aus mit unseren roten Schwimmwesten und den Paddeln.

Grund hinzuhören: das „Geschiebesingen“

Mit ihren hohlen Plastikgriffen eignen sich diese Paddel auch als Verstärker, zumindest draußen, auf dem Hauptstrom der Donau. Lässt man sie im Wasser und führt den Griff zum Ohr kann man über sie das so genannte „Geschiebesingen“ hören: das raunende Knirschen der Kiesel, die am Grund die Donau entlang von der Strömung transportiert werden. Aber nicht hier, im Altarm. Hier machen wir vorerst einmal Halt.

Barfuss durch den Auwald

Wir legen an. Die Schuhe bleiben im Schlauchboot. Die ersten paar Schritte ist es noch etwas ungewohnt, barfuss über die Schotterbank zu laufen. In alle Richtungen flüchten kleine Frösche. Die Steine sind heiß, es hat um die 30 Grad, doch an manchen Stellen im Boden steigen Blasen auf. Kaltes, klares Grundwasser, das austritt. „In Trinkwasserqualität“, sagt die Rangerin, „denn der Schotter ist ein perfekter Filter“. Kaum vorzustellen, dass das hier eigentlich ein „Fischschongebiet“ ist, als das diesen Abschnitt des Altarms ein Schild ausweist. Im Frühjahr würde uns das Wasser an dieser Stelle bis zum Hals stehen. Als wir, immer noch barfuss, über eine Böschung in den Auwald brechen, überragen uns stattdessen Brennesseln, Springkraut und anderes Gewächs.

Wo die Hirsche röhren

Im Schatten ist der Boden feucht, moosig, sandig. Den Sand hat das Hochwasser zurückgelassen. „Haben wir Monarchisten in unseren Reihen?“, fragt die Rangerin. Zumindest outet sich keiner. Wir erfahren, dass heute, am 18. August, der Geburtstag Franz Josephs ist, des letzten österreichischen Kaisers und leidenschaftlichen Jägers. An seinem Geburtstag, heißt es im Volksmund, beginnen in der Au die Hirsche zu röhren. In etwa stimme das wirklich. Heuer wohl die Brunft wohl etwas später einsetzen, weil es noch so hochsommerlich heiß ist. Doch in wenigen Wochen wird es kälter sein, dann werden hier in diesen Wäldern, auf diesen Wiesen die Hirsche röhren und ihre Kräfte messen.

Schlägt hohe Wellen: der Twin City Liner

Als wir zurück ans Ufer kommen und die Boote zurück ins Wasser lassen, macht sich gerade ein Graureiher aus dem Staub. „Wäre mehr Wasser, hätten wir die Boote viel Weiter hoch ziehen müssen,“ erklärt man uns. Das ist keine Binsenweisheit, sondern hängt mit dem Twin City Liner zusammen. Das Tragflächenboot, das als Schiffstaxi auf der Donau zwischen Wien und Bratislava verkehrt, verursacht nämlich derart hohe und „unnatürlich“ ans Ufer stoßende Wellen, dass es diese schon einmal den Kilometer herauf in den Altarm schaffen und dort gelandete Boote ins Wasser reißen. Überhaupt hat man mit dem Schiffstaxi hier keine große Freude. Viele seltene Uferbrüter und junge Vögel werden von den Wellen des Twin City Liners jedes Jahr überrascht und ins Wasser gespült. Manche schaffen es geschwächt ans Ufer, manche nicht mehr. Einmal mehr wird uns klar: Dieser Nationalpark ist keine einsame Insel, sondern hat sich in seiner Umwelt, im dichten Ballungsraum zu behaupten.

Die Hirsche und Mühlen des Kaisers

Wir erreichen unseren Ausgangspunkt, das „Uferhaus“, ein legendäres, oftmals vom Hochwasser heimgesuchtes Wirtshaus, vor dessen „fettigem, faden Essen“ uns ein Eintrag auf Foursquare warnt. Was soll’s, es gibt Klos, Sonnenschirme und sauren Radler. Und auch wenn die Bedienung eher bedächtig am Werk ist, beim panierten Zander kann man nichts falsch machen. Auch die Fischwurst ist einen Versuch wert.

An der Fassade hinter uns sehen wir Wassermarken, anhand derer der „Uferhaus“-Wirt vermerkt hat, wie hoch das Hochwasser in welchem Jahr gereicht hat. Vernünftigerweise baut man an dieser Stelle kein Haus. Doch das „Uferhaus“ ist nicht nur Tradition, sondern eine Institution. Solche werden selten hinterfragt. Höchstens hinweggespült.

 Unendliche Weite mit Windrad: das Marchfeld

Das Hochwasser. Es prägt hier nicht nur die Uferböschung, sondern die ganze Gegend, den Alltag der Menschen bis weit hinein ins Landesinnere. Als wir Orth an der Donau wieder verlassen, überqueren wir wieder den aufgeschütteten Hochwasserdamm, hinter dem, gut geschützt, der Pharmakonzern Baxter seine Impfstoffe herstellt. Heute, am Samstagnachmittag ist der riesige Betriebsparkplatz leer. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Orth an der Donau zu gelangen, ist nicht leicht, das haben auch wir erfahren.

Gleich nach Orth tut sich die unendliche Weite des Marchfelds auf. In der Schule haben wir davon noch als „Kornkammer“ Österreichs gelernt. Tatsächlich ist das Marchfeld heute Agrarsteppe, weithin dominiert von Windrädern und Wassersprenklern.

Und je weiter die Donau im Rücken ist, je offensichtlicher die Dürre wird, von der dieser Landstrich an einem prächtigen Augusttag wie diesem geplagt wird, desto schwerer wird man den Gedanken aus dem Kopf kriegen, dass man eigentlich gerade durch Texas fährt. Auf der staubigen Route 66.

 

Dank geht an Sigg. Das Schweizer Unternehmen hat für alle Teilnehmer des Biorama-Dschungeltrips eine Sigg-Flasche zur Verfügung gestellt.

Diese und andere Boots-, Kanu- und Tschaiken-Touren können direkt über den Nationalpark Donau-Auen gebucht werden. Wer sich für weitere Biorama-Leserreisen interessiert, meldet sich am besten bei unserem Newsletter (einfach rechts im Formular eintragen!) an.

Fotos: Sig Ganhoer

 

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