Code »s24o«: Stadtflucht

campen und radfahren

BILD Arnold Pöschl

Von Neo-Hippietum und dem großartigsten Ding ever: dem Country Bike. Wir öffnen die modische Schublade der Fahrrad-Nutzung und geben praktische Tipps für den Selbstversuch.

Ist der Frühling wettertechnisch erst einmal angekommen, gibt es kein Halten mehr. Alle Jahre wieder kriechen die Menschen dann aus ihren Wohnstätten, um ein bisschen zu flanieren, zu schnuppern – und zu parken. Alle erdenklichen Naherholungsgebiete um die Stadt finden sich dann von kilometerlangen Blechwürsten eingekesselt, um den selbst gepflückten Bärlauch heim zu transportieren. Und transportiert wird traditionell gern mit dem Station Wagon oder dem SUV. Denn dafür wurde er ursprünglich mit gämsigem Vierrad bedacht und mit seitlichen Holzpanelen getarnt, der Suburban, Wagoneer oder Range Rover.

Aufs Land fahren

Die Fahrt ins Grüne gilt paradoxerweise als Autofahrer-Genre und wird neben dem Sonntagseinkauf oftmals auch als letztgültiges Killer-Argument gegen ein autofreies Dasein gebracht. Prinzipiell gehört der Drang ins Freie ja auch unterstützt und wo die losen Enden der öffentlichen Verkehrmittel dann stumpf in der Landschaft liegen, muss der Städter auf sein Sports Utility Vehicle umsteigen. Doch bitte erst dann und auch nicht gleich auf den Zweitonner. Die bei Weitem leichtere Variante wäre dann der Gelände-Rollschuh oder aber: ein Country Bike. Noch nie gehört? Zugegebenermaßen nervt der andauernde Neubau von Schubladen für Fahrradsegmente schon gewaltig. Neben den drei tragenden Säulen »Mountain«, »Road«, »City« und deren unzähligen Unterkategorien macht mich besonders das angebliche Segment »Urban«  stutzig. Das »Country« ist dabei eigentlich ein alter Hut. Ein Gefährt(e) fürs Land, la Campagne oder die Gstättn, in jedem Fall aber genau das, was sich 99,8 Prozent der Menschheit unter einem Fahrrad vorstellen. (Lässt das auch Rückschlüsse auf die Vorstellung der Fahrer über ihre motorisierten SUVs zu? Und wollen Rapper auch nur sonntags aufs Land?) Normale Erscheinung, normal dicke Reifen, normale Kotflügel. Gepäckträger. Licht. Klingel.

Und was macht man damit? Ins Gelände? Auf die Straße? In die Stadt? Genau. Alles. Und noch vieles mehr. Zum Beispiel dem Ratschlag von Grant Petersen – Fahrrad-Guru, ehemaliger Marketingdirektor bei Bridgestone Cycles und Firmengründer von Rivendell, einer Firma, die ausschließlich solche Fahrräder produziert – folgen und damit das tun, was das Radforum bikecommuter.com als »the greatest thing ever« bejubelt. Und mit ihnen noch eine stetig anwachsende Anhängerschaft. »Fahr einen s24o.«

Bike-Camping: Ultra-Kurzurlaub

Dieser Code zur »Stadtflucht« steht für sub-24 hours overnight und lässt bereits die Simplizität erahnen, die hierin verpackt ist. Eine Unter-24-Stunden-Fahrt, mit eingebauter Übernachtung im Freien. Bike-Camping. Die Idee dahinter erklärt sich ebenso schnell wie das Kürzel. Das Fahrrad wird mit dem Camping-Kit beladen, der erschöpfte Bucklige sitzt auf und kommt nach ausgedehnter Fahrt und einer Nacht im Hundertausend-Sterne-Hotel aufgerichtet wieder an. Diese Art von Ultra-Kurzurlaub entspricht gänzlich dem heute weit verbreiteten Lebensmodell des jungen, erfolgreichen Städters. Außerdem spricht das Kurz-Programm jeden Menschen mit verknappter Freizeit an, und das sind wir schlussendlich dann alle.

 

Im Selbstversuch klingt das so: Wie schon erwähnt, ist dafür kein neuartiges Sportgerät oder fragwürdiges Plastikgewand von Nöten, eher sogar ein bisschen verpönt. Rivendell bewirbt neben ihren klassischen Stahlrahmen außerdem Wollsocken-Sandalen-Kombis und Hanfschnur als Fahrradzubehör. Mehr als erfrischend. Für eine Tour tut’s auch das 90er-Jahre-Citybike und die Packtasche vom Weltspartag. Ein kurzer Blick auf die Karte vorab, um die schönsten, realistisch zu erreichenden Ausflugsziele zu erahnen, hilft durchaus, doch auch eine Fahrt ins grüne Blaue hat ihren besonderen Reiz. Als Daumenpeilung darf sich ein ungeübter Radfahrer im Radius von 60–80 Kilometer umschauen, ein Sportlicher wohl an die 100er-Marke heranwagen. Man mag es kaum glauben, was es in diesem Areal schon alles zu entdecken gibt.

Die zusätzliche Ausrüstung ist frei skalierbar. Neben dem obligaten Regenschutz und dem Pannen-Reperaturset gilt es vor allem, fürs leibliche Wohl zu sorgen. Wer gerne Kaffee zum schönsten Sonnenaufgang des Jahres haben möchte, sollte auf Kocher und Kanne nicht vergessen, wer am abendlichen Grillenkonzert teilnehmen will, seine Maulltrommel und so weiter. Die Unterlegmatte und der Schlafsack sind der eigenen Wehleidigkeit anzupassen und wer die Frage nach dem Zelt stellt, hat das Vorhaben nur halbherzig verstanden. Dem Charakter eines s24o besonders entsprechen würde hierbei eine wasserdichte Zeltplane, aus der im Notfall aus dem Fahrrad und einer Abspannleine ein Unterstand gezaubert wird. Denn wie so oft ist weniger einfach mehr.

 

Velo-City 2013

BIORAMA stellt im Vorfeld der Velocity, die von 11. bis 14. Juni 2013 Radexperten und Radbegeisterte aus aller Welt in Wien versammeln wird, das Konzept »Rad-Stadt« auf den Prüfstand. In einer Artikelserie diskutieren wir Entwicklungen auf dem Sektor Radverkehr und verschiedenste Aspekte der Fahrradkultur mit Experten und Aktivisten.

www.velo-city2013.com

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