Die Kraft der Unzählbaren

Sie ist Aktivistin, Galionsfigur der Ökologiebewegung und war die erste Klubobfrau der österreichischen Grünen. BIORAMA traf Freda Meissner-Blau, Schirmherrin der »Erdgespräche«, der größten grünen Vortragsveranstaltung Österreichs, zum Interview. Ein Gespräch über radikale Wurzeln und die neue Leichtigkeit der Dinge.

BIORAMA: Ihr ehemaliger Parteikollege Günther Nenning hat einmal gesagt: Eine Partei ist eine Partei ist eine Partei, eine Bewegung sollte sich bewegen. Ist die Politik von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn es darum geht, die Dinge wirklich zu ändern?

Freda Meissner-Blau: Ganz bestimmt. Weil sie zählbar ist und kontrollierbar ist, man weiß alles über die Partei. Eine Bewegung ist nicht zählbar. Plötzlich sind 5.000 Leute da, wo vorher nur 200 waren. Diese Kraft der Unzählbaren, der Unkontrollierbaren habe ich immer sehr geschätzt, diese Kraft hat sich in vielen Aktionen bewährt.

Der Beginn der österreichischen Ökologiebewegung und die Gründung der Grünen Partei sind eng mit ihrer Person verknüpft. Die grünen Ideen von damals sind heute zumindest teilweise von allen Parteien übernommen. Wozu braucht es heute die Grünen noch?

Diese Zugeständnisse der anderen Parteien sind ja alle nur verbal. Umweltthemen werden zwar diskutiert, aber es wird viel zu wenig getan. Die Parteien gehen vor den Interessen der Finanzgruppen und der Großindustrie in die Knie und genau das nehme ich ihnen so übel. Das Spiel geht nämlich schon seit 30 Jahren so. Es gibt Politiker, die sich schlicht blind machen dafür, was in der Welt passiert. Aber es gibt auch jene, die eigentlich verstehen, wie wichtig Umweltfragen sind. Aber was passiert? Sonntagsreden, Forderungen, die nie erfüllt werden …

Und an dieser Stelle haken die Grünen ein? Oder sind sie selber schon Teil des politischen Establishments?

Damit treffen Sie einen wunden Punkt in meinem Herzen. Nachdem ich auch einige Zeit im Parlament zugebracht habe, muss ich die Grünen zu einem Teil in Schutz nehmen, denn die parlamentarische Arbeit ist sehr fordernd. Sie sind so eingedeckt mit der politischen Tagesordnung, dass ihre Radikalität darunter leidet. Aber ich meine auch: Man kann nicht permanent radikal initiativ sein. Man kann das nur für bestimmte Ziele und Zwecke und zu bestimmten Zeiten sein. Man kann nicht ununterbrochen das Bewusstsein für die globale Welt haben. Sonst kann man seine Arbeit im Parlament nicht machen.

Was ist ihre Meinung zu den Piraten? Haben sie die Chance diese parlamentarischen Strukturen aufzubrechen?

Die Initiative der Piraten ist ein gutes Experiment, das ich sehr interessant finde. Da kann schon eine Kraft da sein und da ist offensichtlich auch eine Kraft. Ob und wie sie sich aber im parlamentarischen Alltag zurechtfinden werden, kann ich nicht prognostizieren. Entweder sie werden hineinfinden, mitlaufen, stiller werden und den Impetus verlieren, den sie jetzt haben. Oder sie machen dort nur Spektakel. Also sie müssen sich entscheiden, wie sie vorgehen. Die Grünen waren am Anfang auch gar nicht leise. Aber heute sehen sie die Dinge eben durch die Brille dieser riesigen Bürokratie. Wir sind eben in der Au gesessen, haben gefroren und die Bäume umarmt, damit sie nicht gefällt werden. Das ist ein völlig anderes politisches Lebensgefühl.

Würden Sie sich selbst als radikal in ihrem Denken und Tun bezeichnen?

Ja, auf alle Fälle. Das sag ich auch den Grünen immer: Ihr habt eure Wurzeln verloren, eure radikalen Wurzeln. Ihr müsst wieder radikaler werden, denn es passiert so viel Schreckliches. Manche von ihnen akzeptieren meine Ratschläge dann auch. (lacht)

Glauben Sie, dass Sie für andere Menschen ein Vorbild sind?

Ich werde immer wieder darauf angesprochen. Vor allem von Frauen aus meiner Generation, die die Anfänge der Anti-Atom-Bewegung miterlebt haben. Erst gestern hat mich wieder eine Frau angesprochen, die damals bei der Au-Besetzung dabei gewesen ist. Sie hat gemeint: »Freda, Sie haben uns beigebracht, dass auch Frauen Mut haben können.« Dabei hab ich selber all meinen Mut zusammennehmen müssen, als ich zum Beispiel für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert habe. Ich habe innerlich gebibbert, mir es aber nicht anmerken lassen. Wenn also wenigstens das bleibt, nämlich dass Frauen mehr Mut haben, aufzustehen und ihr Leben selbstbestimmt zu leben, dann hat alles, was ich getan habe, dafür gestanden. Alles.

Funktioniert Aktionismus heute anders als vor 20 oder 25 Jahren?

Grundsätzlich sogar, ja. Zum Teil hat sich vieles zum Positiven geändert, zum Teil ist aber auch einiges verloren gegangen. Positiv ist, dass die jungen Leute heutzutage viel besser informiert sind. Diese Leichtigkeit der Informationsweitergabe ist toll. Die Vernetzung, die über das Internet passiert, war damals unmöglich. Wir haben noch Telefonketten gemacht, um uns zu verständigen. Aber mit der Leichtigkeit der Dinge ist natürlich ein Teil des Engagements verloren gegangen – nämlich ein Engagement, das sich selbst zur Seite stellt, um hundertprozentig für die Sache da zu sein. Ein Engagement, wo einem egal ist, dass man friert, dass man nächtelang kaum geschlafen hat. Davon ging eine Leidenschaft aus, die ich nicht mehr finde. Eher sitzen alle brav am Computer, informieren sich und machen Vorschläge. Aber die Radikalität, das In-die-Wurzeln-Hineingehen, das sehe ich kaum mehr.

Kann das vielleicht auch daran liegen, dass der Gegner ein unkonkreterer, ein größerer geworden ist, der weniger fassbar ist?

Das ist sicher auch ein Grund. Aber da kommt noch was dazu: Wir konnten damals am Ballhausplatz demonstrieren und haben gefordert, den Bundeskanzler zu sprechen. Bruno Kreisky hat zwar gesagt, mit Lausbuben rede er nicht – einer der Lausbuben war übrigens der 76-jährige Nobelpreisträger Konrad Lorenz und ein anderer das damals 50-jährige Lausmädel Freda. Nach einiger Zeit hat er es dann eingesehen und hat gemeint, drei von uns dürften zu ihm. Also sind wir zu fünft zu ihm und er hat uns angehört. Da war eine geistige Auseinandersetzung möglich. Aber heute? Wollt ihr nach Brüssel gehen und denen sagen »Was ist eigentlich los?« Das nützt doch nichts. Die sind ja nicht von uns gewählt. Da könnten wir zu Hunderttausenden am Alten Platz in Brüssel stehen und es würde sich kein Mensch dafür interessieren. Damals wussten wir, wen wir überzeugen müssen. Heute wissen wir das nicht mehr.

Erhard Busek hat in einem Buch gefragt: Was haben wir falsch gemacht? Eine aus der aktiven Politik sich verabschiedet habende Generation stellt sich in dem Buch diese Frage. Was meinen Sie: Was haben Sie vielleicht, was hat ihre Generation falsch gemacht?

Diese Silberrücken … (lacht) Ich möchte gar nicht lange darüber nachdenken, was ich falsch gemacht habe, denn ich bin sicher, dass ich ein ganzes Paket  an Naivität und Blauäugigkeit war. Ich habe ja wirklich daran geglaubt, dass man ein Parlament mit guter Arbeit, Überzeugung und guten Recherchen verändern kann. Aber man kann durch sein Verhalten dennoch etwas verändern. Das habe ich einmal gespürt, als ich in einer Sitzung nach einer Rede eines Sozialdemokraten wie wild geklatscht habe, weil ich in einer Sache genau seiner Meinung war. Daraufhin hat sich der gesamte Saal entsetzt zu mir umgedreht und mich angeschaut. Man applaudiert doch nicht einem Gegner! Das war aber der Anfang, dass man das jetzt tun kann. Man muss auch anerkennen, wenn ein anderer etwas Gescheites sagt.

Ihr Enkel Adam Pawloff war maßgeblich an der Gründung der »Erdgespräche« beteiligt. Gauben Sie, gibt es so etwas wie ein Aktivismus-Gen?

Ich habe das Gefühl, dass Adam meine Ideale ein Stück weiterträgt, auch meine Sorgen und mein Engagement für die Umwelt. Nur macht er das sehr viel akademischer, als wir es damals gemacht haben. Dass Angie Rattay und er die Erdgespräche ins Leben gerufen haben, ist für mich eine erfreuliche Sache, weil ich gesehen habe, dass ihnen etwas gelingt, was so ganz bestimmt keiner Partei gelungen ist: nämlich mit und an der Basis zu arbeiten.

Das war Ihnen aber auch immer Anliegen.

Ja, ich habe mich nie als Politikerin verstanden, sondern als Delegierte von Bürgerinitiativen. Ich habe die Anliegen von Bürgerrechtsbewegungen, Umweltaktivisten und Friedensaktivisten ins Parlament bringen wollen. Ich habe mich verantwortlich dafür gefühlt, Veränderungen zu schaffen und gehofft, dass man im Parlament mehr erreichen kann. Nach ein paar Jahren habe ich aber eingesehen, dass das eine Illusion war. Entscheidungen werden nicht gefällt, weil sie notwendig und dringend sind, sondern aus parteipolitischen Interessen.

Was wollen Sie der jungen Generation von Aktivisten mit auf den Weg geben?

Lasst nicht locker! Aber man muss sich gönnen, von Zeit zu Zeit auszusteigen, wenn es zu viel wird. Diesen Punkt habe ich leider verpasst und brauchte dann ein neues Herz, weil ich über Wochen und Monate kaum geschlafen hatte. Wir haben uns sehr verausgabt, aber es war damals auch eine Art Kampfzeit. Jetzt ist der lange Atem, die Beständigkeit notwendig. Es geht was weiter, furchtbar zäh zwar, aber es geht.

 

ERDGESPRÄCHE

Unter dem Motto »Bottum up! Jeder kann was tun!« lädt der gemeinnützige Wiener Verein Neongreen Network (NGN) am 31. Mai 2012 zum fünften Mal in Folge zu den Erdgesprächen. Unter anderem in diesem Jahr zu Gast: Bianca Jagger, Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin, und Stefan Rahmstorf, Ozeanograph und Klimaforscher vom Potsdamer Institut fsür Klimafolgenforschung.

Per Livestream können die Erdgespräche auf der Website in deutscher und englischer Sprache mitverfolgt werden.

www.erdgespraeche.net

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