Die Kultur der Reparatur

Die Kultur der Reparatur Cover

Wer repariert heute noch sein kaputtes Radio selbst? Leider zu wenige, attestiert Physiker Wolfgang M. Heckl in seinem kürzlich erschienen Werk „Die Kultur der Reparatur“. Daran sind einerseits wir selbst und andererseits die Hersteller schuld. Kaum jemand wisse heute, wie Geräte von innen aussehen und kaum eines ist mittlerweile noch so hergestellt, dass man den Deckel öffnen kann, um zum Inneren zu gelangen. Das hat negative Folgen. Müllberge zum Beispiel.  Deshalb plädoyiert er für ein Ende der Bequemheitskultur und eine Renaissance der Kultur der Reparatur.

„Wer repariert, setzt sich mit Dingen auseinander, begreift die Welt …“, philosophiert der Autor in seinem ersten Kapitel. Beim Reparieren von Dingen geht es also um viel Größeres. Dabei begreift man nicht nur die Welt, sondern kann steuern, was Anbieter in ihre Regale stellen – idealerweise entgegen des Paradigmas der Unternehmen, die heute großteils nur an Rendite und nicht an die Langlebigkeit ihrer Produkte interessiert sind. Es kommt nicht selten vor, dass der Drucker kurz nach der Garantiezeit eingeht. Geplante Obsoleszenz nennt man dieses Phänomen. In so manchen Fällen passiert das auf Wunsch des Kunden, denn ein Gerät soll möglichst klein sein – mit dem bitteren Beigeschmack, dass es ein halbes Jahr später schon leistungsfähigere gibt. Oder auch, weil wir Konsumenten – gesteuert durch die Werbewirtschaft – immer das Neuste haben müssen. Warum überhaupt, fragt Heckl und zitiert Willhelm Herschel, der die Frage König Georges III., was es denn so Neues gäbe, mit dieser Gegenfrage beantwortet: „Has His Majesty understood the old stuff yet?“

Reparieren – ein ökologischer Beitrag, der Freude bereitet

Philosophisch und naturwissenschaftlich arbeitet der Physiker den Sinn und Zweck des Reparierens, Recycling und Upcycling ab. Seine Argumente sind Verständnis, Nachhaltigkeit und resultierende Freude. In der Natur ist die Reparatur ein uraltes Prinzip, das automatisch und selbstorganisiert abläuft – wie das Verheilen einer Wunde. Historisch sei Reparieren notwendig gewesen, vor allem während und nach Kriegen sind Ressourcen knapp gewesen. Heute stehen wir wieder vor einem Ressourcenmangel, der vor allem vom Bevölkerungs- und Wohlstandswachstum verursacht ist. Die Theorie der Reparaturkultur hellt er mit einem reichen Fundus an persönlichen Anekdoten auf. Dabei berichtet er nicht nur von den Freuden, sondern auch von den Schwierigkeiten Dinge zu reparieren. Heute ist es schon Detektivarbeit an Ersatzteile zu gelangen – die bekommt man nur noch selten bei der Herstellerfirma und wenn, dann unter der Hand. Am Ende sei es der Kampf immer wert, auch wenn man einige Wochen für die Reparatur einer Toilette braucht, berichtet der Autor.

Gemeinsam gegen die Entfremdung von Dingen

Kaputtes wieder zum Funktionieren zum Bringen übersteigt oft die eigenen Grenzen und das eigene Wissen, andere müssen um Rat gebeten werden. Ausgehend von den Niederlanden haben sich zu diesem Zweck Repair Cafes entwickelt, die es mittlerweile auch in kleineren und größeren Städten Deutschlands oder auch in Zürich gibt. In der Fahrradwerkstatt des Wiener WUK können Fahrräder selbst repariert werden. In Repair Cafés stehen auch oft Kurse auf dem Programm, die zu Produkten Marke Eigenbau verhelfen. Dann muss Omi den Wollpulli nicht mehr für einen stricken. Leider hätte heute fast keiner mehr eine Werkstatt im Haus, bedauert Wolfgang M. Heckl. Bei komplizierteren oder technischen Eigenfabrikaten kann man sich in Fabrication Labs abhelfen. Unter Anleitung und einem geringen Entgelt kann man sich in solchen, wie z.B. im HappyLab in Wien (über das die Kollegen von The Gap vor Kurzem berichteten), in der Werkstatt oder am 3D-Drucker kreativ austoben. Reparieren ist also keine einsame Tätigkeit, sondern ein sozialer Event.

Jeder kann und soll reparieren

Dass das Reparieren von Dingen keinesfalls eine männliche Domäne ist, scheint dem Physiker besonders wichtig zu sein. Früher ist er oft mit seiner Tochter in der Werkstatt gestanden. Der Tisch, den sie gemeinsam gebaut haben, wird heute noch verwendet. Das erste Repair Café in den Niederlanden wurde von einer Frau, Martina Postma, in Amsterdam gegründet. Beide Geschlechter sind fähig, kaputten Geräten neues Leben einzuhauchen. Eine kurze Anleitung soll den Einstieg in die Kultur der Reparatur erleichtern. Jeder kann und soll reparieren – und kann so dazu beitragendie trendige Reparaturbewegung in die Mitte der Gesellschaft zu holen und die Wegwerfgesellschaft in einer Recyclinggesellschaft zu transformieren.

Heckl entwirft eine Utopie des smarten Zusammenlebens und appelliert an die Hersteller: Entwerft Dinge so, dass man sie auseinander nehmen kann, wie in den alten Zeiten. Es ist wieder an der Zeit für ein Design for Repair, für Selbstbestimmung und Autonomie des Einzelnen. „Weil es unsere Ressourcen schont – und uns zu glücklicheren Menschen macht.“

 

Wolfgang M. Heckl
Die Kultur der Reparatur

208 Seiten
ISBN : 978-3-446-43678-7
Hanser Verlag

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