Es rockt im grünen Bereich

Neben Live-Auftritten, Filmvorführungen und Feiern im Freien stehen in der Festivalsaison 2012 verstärkt Umweltbewusstsein und Naturschutz auf dem Programm. Denn egal ob Rock, Elektro oder Kleinkunst, jede Veranstaltung bedeutet Verkehr, Energieverbrauch und Müll. Wie groß die Umweltbelastung eines Festivals tatsächlich ist und wie sie sich reduzieren lässt, verrät Jacob Bilabel, Gründer der Green Music Initiative.


BIORAMA: Jeder von uns kennt die Bierdosen-Berge am Campingplatz, aber wie kann man sich die CO2-Bilanz eines Festivals genau vorstellen?

Jacob Bilabel: Eine gute Frage. Ein Festival hat den CO2-Fußabdruck einer Kleinstadt. Das liegt daran, dass erstmal alles – also Bühne, Essen, Toiletten und Strom – auf die grüne Wiese geschafft werden muss, ein sehr aufwendiges Unterfangen. Auf der anderen Seite hat ein Festival auch einen starken Social-Impact: Die Menschen erleben etwas, das großen Nutzen für ihr Leben hat. Und das ist auch der Grundsatz unserer Initiative. Wir haben uns gefragt, warum man beim Klimawandel immer zuerst an die vielen Dinge denkt, die man nicht mehr darf – auf Dauer ist das recht frustrierend. Stattdessen müssen wir ein großes gesellschaftliches Experiment mit alternativer Energieerzeugung starten. Ein Festival ist so ein dreitägiges soziales Experiment mit Musik, Licht, Ton, Drogen, Liebe und Sex. Nirgendwo sonst kriegt man derart komprimiert gesellschaftliche Prozesse vor Augen geführt.

Und wovon hängt bei diesem Experiment der erfolgreiche Wandel von einem Festival zu einem »Green Event« ab?

Dafür gibt es viele Einflussfaktoren. Der größte Hebel ist aber sicher die Mobilität der Fans. Wenn 30.000 Leute und 120 Künstler hin- und zurückfahren, machen die Emissionen einen großen Teil aus. Mit smarten und innovativen Ansätzen – etwa einem Hotelzug oder Mitfahrgelegenheiten, sodass man ohne Auto anreisen kann, einem guten Angebot und einem Zeltverleih vor Ort, damit man weniger Gepäck benötigt – kann man Emissionen sparen.

Der zweite große Hebel ist die Frage »Woher bekommt man die Energie?«. Die Solaranlage beim Melt! (Anm.: Musikfestival in Deutschland) produziert doppelt soviel Energie wie benötigt wird, beim Glastonbury (Anm.: Festival of Contemporary Performing Arts in England) erledigen das die Windräder. Wichtig ist herauszufinden, wie man es schafft, die vor Ort produzierte Energie zu speichern. Letztes Jahr gab es am Melt! zum Beispiel eine Bühne für 400 Leute, die von Fahrrädern bepowert wurde. Mittlerweile kann man auch eine Bühne für 1.500 Leute ohne Strom betreiben. Es geht alles Schritt für Schritt.

Dann gibt es noch das Müllthema rund um Flaschen, Becher und so weiter. Wenn in Wacken (Anm.: Heavy Metal-Festival in Deutschland) 60.000 Metalfreaks wieder abreisen, bleiben jedes Jahr 15.000 Zelte liegen. Um das zu ändern, werden wir 2012 erstmals Wappen für verschiedene Festivals entwickeln, die man sich vor Ort auf sein Zelt sprayen kann. So wie man auf einem Wanderstock Abzeichen von seinen Wanderungen sammelt, sollen Besucher die Wappen auf ihren Zelten sammeln und diese dann quasi als Souvenir mitnehmen.

An ökologischen Möglichkeiten mangelt es ja scheinbar nicht. Welche Rolle spielen finanzielle Mittel dabei?

Alle Veranstalter, die mit uns zusammengearbeitet haben – wofür wir auch bezahlt wurden – haben mit ihren neu angelegten Festivals Geld gespart. Eine Bühne mit LED hat zwar einen höheren Mietpreis, benötigt dafür aber weniger Strom, was wiederum Kosten spart. Ein anderes Beispiel: Wenn man angenommen 75 Tonnen Müll produziert und 140 Euro pro Tonne für die Abholung bezahlt, ist das teurer, als wenn man 20 Prozent weniger Müll verursacht – was in der Umsetzung wiederum gar nichts kostet. Lassen sich Wertstoffe aussortieren, bekommt man sogar Geld dafür, dass jemand den Müll zum Recyceln abholen darf.

Was die Mobilität angeht, sind Menschen mit Autos das größte Problem. Man muss Parkplätze anmieten, diese bewachen und koordinieren. Vier Leute im Auto sind also mehr Arbeit als 40 in einem Bus. Das Geld das man hier spart, kann man dann woanders verwenden.

Ein grünes Festival sieht gleich aus wie jedes andere, hat aber eine bessere Rendite. Nur für die Umwelt macht das ja auch keiner – jeder erhofft sich einen ökonomischen Nutzen neben einem ökologischen Vorteil.

Dazu kommt, dass ein ökologisches Image gerade angesagt ist. Woran erkennt man, ob es sich um ehrliches Engagement oder fadenscheiniges Greenwashing handelt?

Dazu muss man den Begriff »Greenwashing« einmal definieren: Jemand verhält sich scheinbar ökologisch, um daraus Profit zu schlagen. Aber keiner verkauft mehr Tickets nur durch Mülltrennung. Wenn eine Band ein langweiliges Album mit Solarstrom aufnimmt, verkauft es sich dadurch auch nicht besser. Man kann ein schlechtes Produkt durch »grün« nicht besser machen, ein sehr gutes wie z.B. das Roskilde (Anm.: Musikfestival in Dänemark) allerdings besser. Festivals mit nachhaltigem Anspruch werden dadurch attraktiver, interessanter und relevanter.

Apropos Image: Rockbands verbindet man mit Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Spielen die Künstler beim Umweltschutz mit und reisen statt per Privatjet auch mal mit der Bahn an?

Es wird immer Sex, Drugs und Rock’n’Roll sein. Aber ein Festival kann auch grün mit ebensoviel, wenn nicht sogar noch mehr davon sein, wenn wir manches anders machen. Keiner will bescheidene Künstler – die sollen genauso irrsinnig, verglühend und wahnwitzig sein wie immer. Klein-klein bringt uns nicht weiter. Die Künstler haben allerdings einen großen Einfluss auf Produktionspraktiken und können bei der Planung ihrer nächsten Liveshow etwa auf ein Lichtsetup mit 40 Prozent LED bestehen. SEEED zum Beispiel treten nur noch in Hallen auf, in denen erneuerbare Energien zum Einsatz kommen. Als Künstler kann man das Angebot stimulieren. Das macht sich auch im Konkurrenzkampf der Venues bemerkbar: Viele Veranstalter machen z.B. Verträge mit Greenpeace Energy und holen sich so Künstler, die sie sonst niemals kriegen würden. Das Melt! hat neben dem Greener Festival Award und dem Green’N’Clean Award bei den Europe Festival Awards auch den Artist’s Favourite Award – den Preis für das bei Künstlern beliebteste Festival – erhalten. Das ist im internationalen Wettbewerb sehr wertvoll, schließlich spielen sich alle Festivals in denselben achteinhalb Wochen ab. Da ist alles, was dich gegenüber dem Wettbewerb differenziert, ein Wettbewerbsvorteil im Booking. Bands wie Coldplay, Jack Johnson oder die Sportfreunde Stiller finden Festivals, die sich aktiv mit dem Thema auseinandersetzen, sympathischer und relevanter.

Und wie reagieren die feiergierigen Festivalbesucher auf die Aufforderung, sich am Gelände ökologisch zu verhalten?

Wir fordern sie eben nicht dazu auf. Das Letzte, was man tun sollte, ist Besuchern etwas vorzuschreiben. Man kennt das ja vom Mülltrennen – am ersten Tag machen alle noch brav mit, aber spätestens am dritten Tag hat man Neandertaler, die über die Zeltplätze ziehen. Wenn man Dinge smarter macht und etwa auf einer Bühne besseres Licht und noch besseren Sound mit einem Drittel weniger Strom bekommt, braucht man keinen erhobenen Zeigefinger. Idealerweise merkt man als Festivalbesucher gar keinen Unterschied. Wenn du es schaffst, dass die Leute durchdrehen, es bei ihnen aber zugleich klick macht, dann erreichst du was.

Wie kann man seinen eigenen CO2-Fußabdruck am Festivalgelände am einfachsten verkleinern?

Da muss ich kurz überlegen. Der erste und wichtigste Schritt wäre wahrscheinlich, seinen Stromanbieter zuhause zu wechseln. Wir müssen einfach weg von fossilen Brennstoffen. Im Umfeld eines Festivals ist die Anreise der größte Hebel, also am besten Fahrgemeinschaften bilden. Ansonsten eine tolle Zeit haben, genau hinschauen und für sich mit nachhause nehmen, dass Klimaverträglichkeit nicht Verzicht heißt, sondern Spaß macht. Das, was man mitnimmt, ist das Wertvolle.

www.greenmusicinitiative.de

 

VERWANDTE ARTIKEL