Gelungene Symbiose: Junghahn und Jungbauer

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BILD Philipp Mayer

Das traurige Schicksal der männlichen Eintagsküken ist für aufgeklärte Konsumenten kein Geheimnis mehr. Ein experimentierfreudiger Biobauer in Finnland löst das Problem auf seine eigene Weise.

Ein Kochrezept. Eine der Hauptzutaten: ein Hähnchen, küchenfertig. Hähnchen? Früher, zur Zeit unserer bäuerlichen Vorfahren, waren die Brathähnchen wirklich noch Hähne. Denn die Hennen blieben zur Vermehrung, also zum Legen und Bebrüten von Eiern, auf dem Hof. Die überzähligen Hähne wanderten gut ausgemästet in den Kochtopf oder auf den Bratspieß. Die vielfältigen Hühnerrassen von damals legten Eier und setzten Fleisch an.

Das änderte sich in den Anfängen des 19. Jahrhunderts mit der Trennung von Lege- und Mastrassen. Von nun an wurden Legerassen auf Legeleistung und Mastrassen auf schnellen und starken Fleischansatz gezüchtet. Bis heute gilt: Je mehr Eier ein Huhn der Legerassen legt, desto weniger Fleisch setzt es an. Nun aber legt eine Henne Eier, und aus diesen schlüpfen zu gleichen Teilen weibliche und männliche Küken. Was tun also mit den männlichen, die später weder für Eier noch für den Kochtopf interessant und daher aus menschlichem Blickwinkel keine Nutztiere mehr sind? Der Mensch entschied sich dafür, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen – das männliche Eintagsküken war geboren. Egal ob biologische oder konventionelle Legehuhnhaltung, die männlichen Küken wurden und werden an ihrem ersten Lebenstag getötet – heute etwa jährlich 335 Millionen Tiere allein in Europa.

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BILD Philipp Mayer

Im Zeichen des Hahns

Seit mehreren Jahren schon möchten Biobauern und Tierschützer das Töten stoppen, drei Wege sind denkbar und werden bereits beschritten. Projekte zum Zuchtversuch von Hühnerrassen, die sowohl Eier als auch Fleisch produzieren, gibt es heute wieder vereinzelt in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Die vorsorgliche Geschlechterbestimmung der Hühner im Ei ist ein zweiter Lösungsansatz, der allerdings noch im Forschungsstadium steckt. Beispiele für die dritte Alternative, die Aufzucht männlicher Legehühner – entweder indem die teureren Eier der Hennen das Überleben der Hähne subventionieren oder indem neben der Eierproduktion auch Junghahnmast betrieben wird – sind die Bruderhahn Initiative Deutschland oder Toni Hubmanns Initiative Henne & Hahn.

Vor rund einem Jahr ist in Finnland noch ein Projekt dazugekommen: Philipp Mayer, ein dorthin ausgewanderter junger Österreicher, hat sich ebenfalls der Junghahnmast verschrieben. Die Idee der Zucht von Zweinutzungsrassen findet der studierte Agrarier allerdings am spannendsten: »Eine Zweinutzungsrasse wäre im Einklang mit der Idee des Biolandbaus, in dem das Tierwohl und nicht die Leistung der Tiere im Vordergrund steht.« Die Struktur des landwirtschaftlichen Betriebes der Schwiegereltern in Finnland, seine Erfahrungen mit biobäuerlichen Experimenten als Thema seiner Masterarbeit und der Wunsch, innovativ zur Weiterentwicklung der Bio-Idee beizutragen, beeinflussten Philipp maßgeblich. Mit der Aussicht, den Hof ab 2015 übernehmen zu können, starteten Philipp und seine Frau Niina im Vorjahr die ökologisch basierte Aufzucht und Mast von zunächst 450 Junghähnen. Damit waren sie – laut Aufzeichnungen der finnischen Lebensmittelbehörde Evira – alleine auf weiter Flur, was für Philipp weiterer Ansporn ist: »Daraus ergibt sich für uns eine durchaus vorteilhafte Situation, da einer immer weiter steigenden Nachfrage nach Bio-Hühnerfleisch ein nur sehr geringes Angebot gegenübersteht.« Denn der Jungbauer verschließt trotz seines Ideals von einer nachhaltigen Landwirtschaft unter Gesichtspunkten, die von biologisch und saisonal über lokal bis hin zu ethisch und sozial reichen, nicht die Augen vor Wirtschaftlichkeit und Rentabilitätsgedanken. »Wir wollten beweisen, dass es möglich ist, eine wirtschaftlich tragfähige und ganzheitlich nachhaltige Produktion mit Einsatz geringer finanzieller Mittel auf die Beine zu stellen, um nicht in die berüchtigte Schuldenfalle zu tappen und dadurch unsere Flexibilität und Kreativität im Umgang mit der Landwirtschaft einzubüßen.«

BILD Philipp Mayer

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Bummelfahrt Hühnertraktor

Heute, ein Jahr später, ist für Philipp der Beweis gelungen. Die Investitionen sind abgegolten und das erzielte Zusatzeinkommen ist zufriedenstellend: »Möglich war das vor allem durch den saisonalen Charakter unserer Bio-Junghahnmast und die damit einhergehenden weidebasierten Haltungsbedingungen, die täglichen Auslauf mit frischem Grünfutter garantieren.« Das Herzstück dieses Haltungssystems ist der Nachbau des berühmten »chicken tractor« der ebenso berühmten Polyface Farm von Joel Salatin in Virginia, USA. Eine Dokumentation über diesen außergewöhnlichen Farmer – bekannt aus dem Film »Food Inc.« – und seine mobilen Hühnerställe, die täglich über die Weide bewegt werden, hatten den Ausschlag für Philipps Hühnertraktor gegeben. Der selbst gebaute, rund 12 Quadratmeter große Hühnerstall für rund 60 Hähne kommt nicht teuer und bietet laut Philipp einige Vorteile: „Man kann ihn in ein bestehendes Weidesystem integrieren und die Flächen mehrfach nutzen. Die tägliche Aufnahme von Grünfutter hat gesundheitliche Vorzüge für das Tier und durch das vorteilhafte Fettsäurenmuster des Hühnerfleisches auch für den Menschen. Die Haltungsumwelt der Tiere ist belastungsfrei und der Hühnerstall mit Dach schützt weitgehend vor Räubern.«

Philipp evaluiert und adaptiert das Junghahnmast-Projekt laufend. Aus 450 wurden heuer im Mai bereits 1.050 männliche Küken, die von einem nahegelegenen Bio-Legehennen-Betrieb bezogen wurden. Die ersten drei bis vier Wochen verbrachten die Küken in einem 120 Quadratmeter großen, durchlüfteten Folientunnel. Als sie dem Kindergartenalter entwachsen waren, begann der Großteil im Hühnertraktor die Bummelfahrt über die 1,5 Hektar große Kuhweide. Die restlichen 300 Hähne tummeln sich dagegen in einem neu angelegten großzügigen Auslauf rund um den Folientunnel. Viel Licht, Luft und trockene, saubere Flächen in den ersten Lebenswochen, danach täglich genügend Bewegung im Freien und eine gut durchmischte Futterration aus Gras, Weizen und Ackerbohne der Marke Eigenbau plus etwas Insekten und zugekaufte bio-zertifizierte Eiweißfuttermittel – was brauchen Hähne mehr, um glücklich zu sein? Apropos Futter, auch daran tüftelt Philipp noch. Er möchte den Anteil an hofeigenem Futter auf über 90 Prozent anheben, um unabhängiger zu sein.

Aber auch das Leben glücklicher Hähne hat ein Ende. Nach 110 Tagen haben sie ihr Mastgewicht erreicht. Die erste Generation von 450 Hähnen hat Phillip im Oktober 2012 schlachten lassen und bis März 2013 ab Hof verkauft – zu einem Preis, der selbstverständlich weit über dem für konventionelle Masthähnchen liegt. Aber das muss auch so sein, schließlich brauchen Phillips Hähne bis zur Mast dreimal so lang und sind auch hinsichtlich der Futterverwertung nicht so effizient. Dafür schmecken sie besser – sagen zumindest die Konsumenten von Phillips Junghähnen.

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»HENNE & HAHN« MACHEN »EIER MIT LIEBE«

Toni Hubmanns Initiative Henne & Hahn hat letztes Jahr in drei Durchgängen ca. 3.000 Hähne aus einer Zweinutzungsrasse großgezogen. Im ersten Anlauf wurden frische Hähne in vier Billa-Filialen und bei Meinl am Graben verkauft. Toni Hubmann resümiert: »Dieser Versuch war leider wenig erfolgreich, sicher auch auf Grund dessen, dass das Produkt Junghahn nicht sehr bekannt war und das Mindesthaltbarkeitsdatum nur sehr begrenzt ist.« Der Verkauf im Tiefkühlregal brachte dagegen bereits erste befriedigende Ergebnisse und wird daher in Zukunft forciert. Seit Mitte März können die Österreicher in allen Merkur-Märkten und ausgewählten Billa-Filialen des Landes frische Bio-Eier (»Eier mit Liebe gemacht«) von Zweinutzungshühnern – das Moosdorfer Haushuhn – kaufen; »Das Angebot wird sehr positiv aufgenommen, die Nachfrage ist groß«, zieht Katharina Krovat von Rewe International eine erste Zwischenbilanz. Auch Hubmann ist optimistisch, denn die Eintagsküken-Problematik hat die Konsumenten sensibilisiert. Weil Junghähne aber bisher kaum auf ihrem Speiseplan stehen, müssen die Kunden deren »einzigartige Qualität und den exzellenten Geschmack« noch kennen und schätzen lernen.

 

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