„Sag doch mal!“ – Von der Wichtigkeit Entscheidungen zu treffen

Sophia Hoffmann

Foto: Mon Autre Vie Fotografie / Tina Linster

Heute morgen um 7.30 Uhr, als der Handwerker in der Wohnung über mir zum ersten Mal seine Bohrmaschine ansetzte, wusste ich es ist endgültig soweit diesen Beitrag zu schreiben, weil mir das Thema schon lange unter den Nägeln brennt.

 

Ich bin in den letzten Jahren unzählige Male damit konfrontiert gewesen, dass Menschen in meinem Umfeld nicht in der Lage waren Entscheidungen zu fällen. Sei es allgemein im Bezug auf ihre Lebenssituation, ihren Job oder ihre Beziehungen. Viele hängen in einem Status Quo fest, der sie nicht befriedigt, schlimmer noch, massiv belastet oder gar krank macht.

Mir fällt es schwer das nachzuvollziehen, denn ich bin jemand, der ungemein gerne Entscheidungen fällt. Manchmal vielleicht zu voreilig und resultierend als mangelnder Geduld. Daran versuche ich zu arbeiten, denn überstürzen kann sich genauso ungut auswirken wie das Herauszögern derselbigen. Sicher würde es mir auch guttun, in manchen Situation etwas länger auszuharren und (positive) Ergebnisse abwarten. Ich arbeite daran. Yoga hilft (wie auch bei vielen anderen Dingen).

Bewegungslosigkeit in einer Beziehung

Ich habe drei Freundinnen, alle Ende zwanzig, Anfang dreissig, mit denen ich immer wieder über die Unzufriedenheit mit ihren Beziehungen spreche. Ich rede hier nicht von einer Dissonanz-Phase oder einer Meinungsverschiedenheit, sondern von belastenden Situationen, die sich teils über viele Jahre eingespielt haben, an der Psyche zehren und langfristig dafür sorgen, dass diese Frauen stets eher unglücklich als glücklich sind. Natürlich ist das Leben nicht ein einziger Sommertag am See, aber sollte eine Beziehung nicht etwas sein, worin man sich geborgen fühlt?

Ein vertrauensvolles Gemeinschaftsprojekt, in dem man sich gegenseitig unterstützt, in den Arm nimmt und stärkt? Umso erschreckender sind für mich die Gründe sich nicht aus der Beziehung zu lösen:

-Was, wenn ich keinen besseren Partner mehr finde?

-Aber wir wohnen doch zusammen.

-Wir sind doch schon so lange zusammen.

-Ich bin zwar in jemand anderen verliebt, aber ich weiß, dass mein Freund ein guter Vater wäre.

-Vielleicht sollte ich mich einfach damit abfinden, dass es die eine große Liebe nicht gibt?

Kurz zur Erinnerung: Wir reden hier nicht von einer Zweckehe, die in ländlicher Gegend Mitte des 18.Jahrhunderts geschlossen wurde, sondern von einer modernen Großstadt-Beziehung ohne Ehevertrag und gemeinsame Kinder! Würde man einer 80jährigen, lebenserfahrenen Frau diese Beweggründe schildern, sie würde wohl nur müde lächeln über junge Frauen, die sich so alt fühlen. Es grenzt schon fast an Beleidigung gegenüber älteren Menschen, zu behaupten mit 30 seien alle Würfel gefallen. Wie frustrierend ist eigentlich die Vorstellung sein Leben in unserem Alter nicht mehr in neue Richtungen lenken zu können?

Was für ein schrecklicher Trott

Eine weitere, oft erlebte Lähmung der Entscheidungsfindung betrifft das Berufsleben. Freunde lassen sich ausbeuten oder machen jahrelang einen Job, der sie seelisch und körperlich belastet und (psychisch) krank macht. Eigentlich gesunde junge Menschen sind alle paar Wochen krankgeschrieben, weil sie einfach unerfüllt und frustriert sind. Sie nehmen das in Kauf und sehen am Ende noch die Krankentage als kleine Fluchten aus dem Arbeitsalltag.

Was für ein schrecklicher Trott. Dabei ist gesund sein unser größtes Privileg und wir sollten uns nicht daran gewöhnen ständig krank zu sein oder uns zumindest so zu fühlen. Wir sollten mehr dafür tun unser Immunsystem zu stärken – durch Sport, Ernährung, gute soziale Kontakte und eine Aufgabe, die uns erfüllt.

Klar gibt es in jedem Beruf Durststrecken, in denen man durchbeissen muss und selbst der erfüllendste Traumjob kommt nicht ohne Überstunden, Konfrontationen oder Niederlagen daher, aber sich einfach taub zu stellen, zu leiden und zu dulden, das kann nicht die Lösung sein.

Angst

Der Hauptgrund für Entscheidungsunfähigkeit ist sicherlich Angst. Angst vor dem Verlust von Sicherheit, vor Veränderung, vor gesellschaftlichen Konventionen. Davor eine Entscheidung verteidigen zu müssen, zu ihr zu stehen, die Folgen zu tragen. Dabei kann eine Entscheidung einen Neuanfang bedeuten, der Beginn von etwas Gutem sein, ja vor allem von etwas besserem als das, was davor war!

Ich kann in meinem Leben viele Beispiele aufzählen auf die die Formel zutrifft: „Hätte ich damals nicht XY getan, wäre XY nie passiert!“ Mag sein, dass Entscheidungen auch negative Folgen hatten, glücklicherweise überwiegen die Positiven so stark, dass ich mich nurmehr an sie erinnere. Durch mutige, konsequente Entscheidungen habe ich mir selbst beigebracht meinem Bauchgefühl Gehör zu schenken wenn es sich meldet und gelernt was gut für mich ist und was nicht. Aber es war auch bei mir eine Reise bis dahin.

Vor etwa 10 Jahren hat mich das Verhalten eines Freund sehr stark geprägt. Er war, vor allem im Bezug auf Politik, immer bis auf die Zähne mit Argumenten bewaffnet bereit seine Meinung zu verteidigen und seinen Standpunkt klarzumachen. Ich war politikverdrossen und spätpubertär der Ansicht: „Das macht doch eh alles keinen Unterschied“. Er belehrte mich eines Besseren und erklärte mir plausibel, dass nur der, der eine Stellung beziehe langfristig eine Änderung bewirken könne. Einen Standpunkt haben ist die beste Grundvorraussetzung dafür Entscheidungen fällen zu können.

Eine Freundin von mir ist Schauspielerin. Sie bekam vor kurzem eine Rolle angeboten, die karrieretechnisch gut für sie gewesen wäre. Große deutsche Produktion, bekanntes Format. Einzig war diese Rolle so frauenverachtend und klischeemässig geschrieben worden, dass sie sie entsetzt ablehnte. Nicht weil sie es nicht hätte spielen können, sondern weil sie ein solches Frauenbild in den Medien nicht unterstützen möchte. Sie traf diese Entscheidung sehr mutig und ihr Agent war alles andere als begeistert, trotzdem ist sie auf dem richtigen Weg.

Eine Bekannte entschied sich gegen die lukrative Karriere als Juristin und für ihre Leidenschaft, die Reisefotografie, hier ihr persönlicher Erfahrungsbericht, der Mut macht und motiviert.

Ich selbst habe gerade erst die Kopfhörer zur Seite gelegt um mich nach fast 10 Jahren als DJ im Nachtleben zukünftig ganz und gar meiner zweiten neuen Leidenschaft, dem Kochen zu widmen. Schon länger empfand ich die Nachtarbeit als anstrengend und anstelle der Leidenschaft war der Gedanke von Pflichterfüllung gerückt. Wenn man auf dem Höhepunkt einer Party hinter dem DJ-Pult steht, die Gäste beim ausrasten beobachtet und in Wirklichkeit am Liebsten seit Stunden im Bett wäre, ist das ein untrügliches Zeichen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Natürlich fehlen mir die festen Auskünfte aus meinen Gigs, aber dafür kann ich samstags zuhause bleiben, bin ausgeschlafen und meinem Trommelfell tut ein bisschen Vogelgezwitscher in freier Natur zur Abwechslung auch mal ganz gut.

Um es kurz zu machen:

Es ist unheimlich befreiend und produktiv sich für oder gegen etwas zu entscheiden. Seine Meinung kund zu tun auf die Gefahr hin, dass sie Konsequenzen hat. Sich von Menschen zu trennen, die einem einfach nicht guttun. Oder für den Anfang einfach Dinge auszumisten, die man nicht mehr braucht. Letzte Woche habe ich ein dickes Wörterbuch verschenkt, das ich seit 10 Jahren von Wohnung zu Wohnung trage und nie benutze, da ich im Internet nachsehe. Es war dieser sprichwörtliche Klotz am Bein, der jeden Umzugskarton zementgleich beschwerte. Nach zwei Stunden meldete sich jemand auf meine Kleinanzeige und holte es freudig ab. Ich war so erleichtert.

Wem all diese Ermutigungen nicht weiterhelfen, dem möchte ich folgendes Buch zur Lektüre empfehlen: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden von der Australierin Bronnie Ware, die wie die Jungfrau zum Kinde in die Palliativ-Pflege geriet und ihren Erfahrungsaustausch mit sterbenden Menschen beschreibt. Menschen, die auf dem Sterbebett Dinge bereuen, die sie gerne anders gemacht hätten. Dinge, die konkreten Entscheidungen bedurft hätten.

Zwar sind einige Passagen des Buches etwas esoterisch, da sie sich viel mit dem spirituellen Weg der Erzählerin beschäftigen, aber die Essenz ist unheimlich wertvoll und optimistisch.

Bild: Bronnie Ware

Bild: Bronnie Ware

Fang besser heute damit an als morgen.
Und iss was Gscheit’s!
Wohl bekomm’s!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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