Leitfaden: Wie gründe ich eine Kommune?

In einer Zeit, die stark von Wandel und Veränderung geprägt ist, wächst die Bereitschaft, mit Alternativen zu experimentieren. Ein wagemutiger Ansatz besteht darin, sein Leben in einer Gemeinschaft oder Kommune zu organisieren.

Die Vorstellung von der staatszersetzenden Kollektivbewegung, die die Bürgerschreck-Kommunen der 60er-Jahre in der gesellschaftlichen Wahrnehmung hinterlassen haben, ist längst verblichen. Doch das allgegenwärtige Konkurrenzprinzip des Kapitalismus hat dafür gesorgt, dass für den Einzelnen individuelle Freiheit und Kooperation im Widerspruch zueinander stehen. Dazu kommt, dass Gemeinschaft immer noch stark mit Unterordnung und Gleichschaltung assoziiert wird. Die Sehnsucht nach Verständnis und Zugehörigkeit trifft dabei auf die Angst vor einer zermürbenden Alle-entscheiden-alles-Basisdemokratie, an deren Ende man sich entmündigt und seiner Individualität beraubt sieht. Auch im gegenwärtigen Nachhaltigkeitsdiskurs wird häufig vernachlässigt, dass zur Lösung der sozialen und ökologischen Krise neue gemeinschaftliche Lebensformen mit ihren Organisationsstrukturen und sozialen Prinzipien immens an Bedeutung gewinnen. Die Bündelung von Ressourcen und Energie spart Kosten, der gemeinsame Besitz von Alltagsgütern, Gebäuden und Produktionsmitteln eröffnet Alternativen in ökologischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Bereits bestehende Projekte zeigen, wie man mit weniger finanziellem Einsatz und weniger Energieverbrauch trotzdem die persönliche Lebensqualität steigern kann.

Soziale Innovation

In gemeinschaftlichen Zusammenhängen werden seit Jahren neue kommunikative Werkzeuge zum Umgang miteinander erfunden, erprobt und weiterentwickelt. Intentionale Gemeinschaften mit gemeinsamen Zielsetzungen wie Ökologie, landwirtschaftliche Selbstversorgung, Kindererziehung, solidarische Ökonomie, Arbeitskooperative, Selbstentfaltung und Altersversorgung gründen sich in urbanen wie ländlichen Regionen. In der aktuellen Ausgabe von »Eurotopia«, dem umfassendsten Verzeichnis von Gemeinschaftsprojekten in Deutschland und Europa, stellen sich knapp 400 Gemeinschaften und Ökodörfer in 27 Ländern dar: mit ihren Visionen und Zielen, ihren Charakteristika und Besonderheiten. Darin finden sich auch zahlreiche aufschlussreiche Beiträge, zu welchem Gemeinschaftswissen die Szene in jahrzehntelanger Praxis und Reflexion gekommen ist. Menschen aller Altersgruppen haben im Gemeinschaftsmodell inzwischen eine Lebensform gefunden, die eine ökologische Lebensweise nachhaltig unterstützt und auch die sozialen Bedürfnisse und das Miteinander »menschengerechter« regelt und befriedigt.

 

Leitfaden: Wie gründe ich eine Kommune?

Am Anfang stehen verschiedene Menschen mit ihren Sorgen und Sehnsüchten. Sie wollen ökologisch leben und sehnen sich nach lebendigem Kontakt mit anderen. Das ist oft der tiefste Wunsch, der aber gleichzeitig auch mit Ängs­ten beladen ist: »Werde ich in einer Gruppe bestehen? Wo bleibt meine Freiheit?« Nach dem amerikanischen Sozialpsychologen Scott Peck kann eine Gruppe nur dann zu einer echten Gemeinschaft werden, wenn die Mitglieder durch eine Phase der Selbstreflexion gehen. Erst wenn man sich seiner eigenen Verhaltensmuster klar geworden ist, kann man anderen unvoreingenommen und offen begegnen, was die Grundlage für die Vertrauensbildung im Gemeinschaftsprozess darstellt. Als Idealzustand nennt Peck eine »friedliche Atmosphäre der Wertschätzung«.

Schritt 1: Wer macht mit?

Wenn man keine fixe Gruppe aus dem persönlichen Umfeld hat, benötigt man Werbung für sein Vorhaben. Flyer, Info-Workshops, Online-Anzeigen, Referenten aus bestehenden Gemeinschaften – wichtig ist dabei vor allem Ausdauer und Fantasie.

Schritt 2: Was & Warum

Hat sich eine Gründungsgruppe gebildet, ist es hilfreich, gemeinsam eine Erklärung zu formulieren, die sowohl die Vision (wie die Gruppe die Welt gerne hätte) als auch die Aktivitäten, die dazu beizutragen, diese andere Welt herbeizuführen, beschreibt. Sie ist der Prüfstein, zu dem man zurückkehrt, wenn es im Entscheidungsprozess einen Konflikt gibt und sie hilft, weitere Mitglieder anzuziehen. Unglücklicherweise zeigt die Erfahrung, dass 90 Prozent der Projekte in dieser Phase steckenbleiben.

Schritt 3: Wie?

Wenn es keinen Chef gibt, ist es müßig, sich über Recht- und Nichtrechthaben zu streiten. Also muss man eine gerechte Methode zur Entscheidungsfindung wählen. Die meisten Gemeinschaften benutzen Strukturen wie Plenum, Forum und Kleingruppen sowie konsensgestützte Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit. Entscheidungsprozesse sollten schriftlich dokumentiert und für alle nachvollziehbar sein.

Schritt 4: Wer noch?

Einen klaren Prozess der Mitgliedschaft für die Aufnahme in die Gruppe schaffen, der leicht verständlich für alle Interessierten ist, die sich vom Was, Warum & Wie angesprochen fühlen.

Schritt 5: Du schon wieder!

Oft vertreten Menschen unterschiedliche Strategien, um dasselbe Ziel zu erreichen. Konflikte können reduziert werden, wenn die Gemeinschaftsmitglieder effektive Kommunikationsformen erlernen und diese auch regelmäßig anwenden, um miteinander auf freundliche, offenherzige und transparente Weise zu reden.

Schritt 6: Wo?

Kriterien für ein Wohngebäude oder Grundstück auswählen und mit der Suche beginnen. Eine Liste der Eigenschaften erstellen, die das ideale Objekt haben sollte. Dieser Suchprozess kann mehrere Jahre dauern und wird häufig von Fluktuationen in der Gruppe begleitet.

Schritt 7: Wem gehört was?

Es gibt Gemeinschaften mit einem Einzeleinkommens-Modell oder mit gemeinsamer Ökonomie. Davon ist auch abhängig, ob man im Fall eines Ankaufs gemeinsam als Besitzer auftritt. Dies benötigt eine Rechtsform, die diese Art von Besitzverhältnis unterstützt (z.B. eine gemeinnützige GmbH oder Kooperative). Gleichzeitig werden die Eintrittsbeiträge festgelegt, indem man die erwünschte Idealzahl von Mitgliedern durch die geschätzten Gesamtkosten teilt. Auf dieser Grundlage werden auch spätere Austritte geregelt. Eine andere Möglichkeit ist, mehrere Wohnungen anzumieten und eine davon als Gemeinschaftsräumlichkeiten zu nutzen.

Schritt 8: Was nun?

Normalerweise planen Projekte ihr Scheitern nicht, passieren kann es aber trotzdem. Von den gegründeten Projekten überdauern lediglich zehn Prozent die ersten drei bis fünf Jahre. Sie sind nie in die wichtige Regenerationsphase eingetreten: Wie erfolgreiche Projekte zeigen ist es notwendig, jede Aktivität, die zum Aufbau und zum Zusammenhalt der Gemeinschaft beiträgt, zu würdigen und zu feiern – das ist ein ganz wesentliches Element der Stabilisierung und Bewusstwerdung. Nur so bleibt eine Gruppe mit ihrer ursprünglichen Vision verbunden und vermeidet den »Burn-out«-Effekt.

 

www.austrotopia.net

www.eurotopia.de

www.kommuja.de

www.gemeinschaftsbildung.com

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