Die Stadt in 100 Jahren

Bild: Growing Cities / Dan Susman, Andrew Monbouquette

Bild: Growing Cities / Dan Susman, Andrew Monbouquette

Die Rolle urbaner Landwirtschaft in wachsenden Städten scheint zunehmend an Bedeutung zu gewinnen, deshalb liegt von 24. bis 25. Mai der Schwerpunkt des Crossroads-Festivals auf zukunftsfähiger Landwirtschaft & Ernährungssouveränität. Wie viel Macht hat diese, unsere Städte neu zu beleben?

 

Zu dieser Frage hat BIORAMA David Steinwender, Mitglied der Transition-Town-Gruppe Graz und Referent für Ökologie, Gesellschaftspolitik und Menschenrechte an der ÖH Uni Graz um seine Zukunftseinschätzung gebeten. Wir nehmen euch mit auf eine Reise in die Stadt der Zukunft …

 

BIORAMA: David, wenn du dir eine Stadt in 100 Jahren vorstellst, wie schaut deine Utopie dieser Stadt aus?

David Steinwender: Die Stadt in 100 Jahren wird sich von der heutigen deutlich unterscheiden. Der Umgang von Menschen untereinander und mit der Natur wird sich total gewandelt haben. Die Gesellschaft geht mit dem Verfügbaren wesentlich besser um. Technologische Errungenschaften, aber auch die Abkehr von der Verschwendung der Ressourcen machen dies möglich. An den Klimawandel wird mensch sich angepasst haben. Dementsprechend haben sich Lebens- und Wirtschaftsweisen deutlich verändert. Alles wird wieder viel lokaler vonstattengehen. Städte werden dabei von Grünzonen statt versiegelten Flächen dominiert werden. Städtische Landwirtschaft und Urban Gardening werden in der Stadt prägend sein.

Verkehr passiert auf alternativen Mobilitätsformen, wie Radfahren, zu Fuß gehen, öffentlicher Verkehr. Motorisierter Individualverkehr wird sich auf Car-Sharing beschränken und Fahrten dann getan, wenn sie auch nötig sind. Der ländliche Raum wurde wieder belebt, sodass die Menschen wieder den Großteil ihrer Zeit in den Regionen verbringen und nicht in die Stadt pendeln müssen. Kommunikation wird stark über direkte persönliche Kontake stattfinden und digitale Technologien unterstützen diesen Prozesse, wobei sich dessen Strukturen demokratisiert haben werden. 3D-Druck wird soweit ausgereift sein, dass Dinge und vor allem Ersatzteile lokal hergestellt werden können. Die Anleitungen dazu wird es im Internet geben.

Nur der weite Transport verschiedener Rohstoffe wird nicht ausbleiben können, da vieles nicht lokal verfügbar ist. Gibt es wo eine Krise, z.B. nicht genug lokal verfügbare Lebensmittel, werden diese von anderen Regionen bereitgestellt. Ich würde die Stadt wie folgt zusammenfassen: Es werden Gartenstädte mit Elementen der Transition Towns, Smart Citys und globalen Dörfern sein. Auch Ideen des Forschungsprojektes „Neustart Schweiz“ wurden aufgegriffen. Mit Problemen wird anders umgegangen werden und geplante Obsoleszenz gibt’s nicht mehr.

Bild: Growing Cities / Dan Susman, Andrew Monbouquette

Bild: Growing Cities / Dan Susman, Andrew Monbouquette

In der Zukunft hat es die Gesellschaft also geschafft, sich an den Klimawandel anzupassen. Welche Maßnahmen haben rückblickend zu einem solchen Wandel geführt?

Es war ein Abkommen von den heute üblichen Praxen und Selbstverständnissen notwendig. Klimawandel ist nicht nur ökologisch zu begreifen, sondern ein Phänomen, das uns als Menschen betrifft, vor allem die Menschen in den betroffenen Gebieten, primär im Globalen Süden. Viele Gebiete werden nicht mehr bewohnbar sein, insofern wurden neue inklusive statt exklusive Politiken verfolgt, vor allem. im Umgang mit (Klima-)Flüchtlingen und in der Frage der sozialen Ungerechtigkeit.

Es mussten Maßnahmen getroffen werden, die sowohl lokal wie auf globaler Ebene und den Maßstäben dazwischen der Ungleichheit entgegenwirken, vorwiegend bei der Teilhabemöglichkeit am gesellschaftlichen Leben und im Zugang zu Ressourcen. Dies musste neu ausverhandelt und demokratischer organisiert werden. Die Praxis, mit Werbung Dinge jemanden anzudrehen, wurde verändert. Stattdessen hat man auf Maßnahmen gesetzt, die das Bewusstsein steigern, den sozialen Kontakt fördern und die Verantwortung stärken.

Der Staat spielt dabei eine besondere Rolle: Er hat aufgehört Leistungen zu kürzen und seine Kernaufgaben an untere Ebenen abzuwälzen, ohne einen Ausgleich zu schaffen. Vielmehr wurde erkannt, dass Teilhabe der Gesellschaft und die Möglichkeit zur Mitbestimmung auf allen Ebenen, sowohl bei Entscheidung wie auch Gestaltung, von großer Bedeutung ist. Stichwort: direkte und partizipative Demokratie ergänzend zur repräsentativen. Einen wesentlichen Beitrag dazu haben soziale Bewegungen geleistet, welche sich für weitere Grundrechte und andere politische Rahmenbedingungen eingesetzt haben. Insofern waren neue Institutionen vonnöten, die mit den Herausforderungen besser umzugehen wissen, als die heutigen, insbesondere im Umgang mit Commons, Stichwort: Privatisierung und Zur-Ware-Machung. Von öffentlicher Seite unterstützte Bürger-Vereinigungen, z.B. in Form von Genossenschaften, haben sich gegründet und unterstützen dabei die Erledigung öffentlicher Dienstleistungen. Dabei war aber eine Abkehr von politischen Maßnahmen und Wirtschaftsweisen nötig, damit der Mensch sich nicht selbst überlassen bleibt.

Der oder die Einzelne musste aber gewisse Einschnitte hinnehmen. Dies wurde aber nicht top-down vorgegeben, sondern auf allen Ebenen ausverhandelt. Das war ein langer Prozess. Der sich durchsetzende Leitgedanke ist ein bedürfnisorientierter, nicht marktorientierter Umgang mit Ressourcen aller Art. Diese Einschnitte, z.B. nicht mehr alles zu besitzen, wurden aber reduziert, in dem sich die Bewegung des Sharings, also des Teilens, durchsetzen konnte, z.B. in Form von Leihläden, Rad- und Carsharing, Gemeinschaftsgärten, Gemeinschaftsräumen und Bürgerkraftwerken, damit alle diesen Zugang haben. Dabei wurden vor allem nicht-kommerzielle Initiativen gestärkt. Mit marginalisierten Bevölkerungsgruppen musste auch anders umgegangen werden. Totale Gleichheit gibt es auch in der Stadt in 100 Jahren nicht, dennoch liegt der Fokus darauf, dass niemand unter die Räder kommt.

Aufgrund von ökologischen und sozialen Problemen, musste auch die Wirtschaftsweise verändert werden. Auch wenn es schön ist, im Winter nicht saisonale und „exotische“ Lebensmittel zu bekommen, war es notwendig, den globalen Warentransport zu hinterfragen, das gleiche gilt für Kurzzeittripps in entfernte Gebiete. Reisen findet auf einem anderen Niveau statt. Die Forschung zu Alternativen wurde massiv unterstützt.

Bild: Growing Cities / Dan Susman, Andrew Monbouquette

Bild: Growing Cities / Dan Susman, Andrew Monbouquette

Was war notwendig, um diesen gesellschaftlichen Wandel einzuleiten?

Eine 180-Grad-Drehung mit Umwegen und Bewusstseinswandel, dem Handlungen folgen. Es brauchte emanzipative Bewegungen und einen kritischen Umgang mit verschwörungstheoretischen und rechten Strömungen in der Gesellschaft. Es musste auf die Menschen zugegangen werden, nicht um ihnen Angst einzureden, sondern um ihre Bedürfnisse zu verstehen. Auf jeden Fall war es nötig, die Leitbilder „Konkurrenz“, „Wachstum“ und „Wettbewerb“ zu überwinden. Kooperation und Solidarität in einer Postwachstumsökonomie konnten der Gesellschaft eine stabile nachhaltige Basis geben. Konkret wurden das Rechtssystem verbessert. Ernährungssouveränität wurde beispielsweise ein Grundprinzip. Die Bemühungen der Bottom-up-Bewegungen haben wesentlich zur einem Umdenken und folglich auch zur Veränderung der politischen Rahmenbedingungen geführt.

Aus Kombination von neuen Umgang miteinander, kritischer Reflexion heutiger und der Schaffung neuer Praxen und technologischen Entwicklungen war es aber ein erfolgreicher Prozess. Neue Potenziale werden nicht durch das Streben nach Gewinnmaximierung genutzt, sondern um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Ein Bestreben, das die meisten Utopien und gesellschaftlichen Initiativen, auch in der Politik, teilten. Gestritten wurde immer über das „Wie“. Aber irgendwann sind wir an einem Tisch gesessen und haben uns überlegt, was wir wirklich haben wollen: ein gutes Leben für alle!

Die Mittel, mit denen wir uns verständigen, haben sich gewandelt. So haben zum Beispiel persönliche Beziehungen wieder einen großen Stellenwert, Geld und Besitz dagegen einen sehr geringen. Das war ein sehr langer und schwieriger aber erfolgreicher Weg.

 

Welche Rolle spielen Gemeinschaftsgärten und städtische Landwirtschaft in den gewachsenen Städten?

Der Bedarf ist deutlich gestiegen, aus Eigenmotivation aber auch aus Notwendigkeit. Die Stadt wurde als Ressource erkannt, angefangen von brachliegenden Flächen, Hinterhöfen bis hin zu Dächern und Balkonen. Es ist der Leitgedanke entstanden, allen Bevölkerungsschichten nachhaltig produzierte, gute und qualitative Lebensmittel zur Verfügung zu stellen bzw. diese auch selbst zu produzieren. Sie müssen aber mit anderen Nutzungen abgewogen und bestenfalls in sie integriert werden, z.B. jeder öffentliche Park bietet Platz für Lebensmittelanbau, Wohnsiedlungen bieten Platz für Gärten. Gemeinschaftsgärten tragen beispielsweise zur Gesundheit, Armutsreduzierung, Förderung demokratischer Strukturen und zum Zugang zu guten Lebensmitteln unabhängig vom Einkommen bei, wenn sie hinreichend unterstützt werden. Ab einer gewissen Anzahl bzw. Größe merken wir auch ein besseres Stadt- bzw. Mikroklima. Auch Stadtlandwirtschaft wird zu einem großen Teil zur Versorgung der Städte beitragen, die Idee der „Gartenstadt“ bietet dazu spannende Ansätze. Diese Bewegungen tragen natürlich zur Ernährungssouveränität bei. Die Stadt wird wieder lebendig und erwacht aus ihrem Tiefschlaf.

 

CROSSROADS – Festival für Dokumentarfilm und Diskurs
Schwerpunkt: Ernährungssouveränität & Zunkunftsfähige Landwirtschaft
21. Mai – 1. Juni 2014
Forum Stadtpark, Graz, Österreich

crossroads-festival.org

 

 

 

VERWANDTE ARTIKEL