Warum es kein Zurück zum Ursprung gibt

Über Bio-Marketing, das Ferkel aus der Fernsehwerbung und den inneren Schweinehund.

Vergangenen Herbst hatte ich das Vergnügen, vor versammelten niederösterreichischen Bio-Bäuerinnen zu sprechen (auf Einladung ihrer Interessensvertretung, der Bio-Austria). Thema meines Vortrags war eine Typologie der gegenwärtigen Öko-Konsumenten, die ich ursprünglich für unser Magazin Biorama recherchiert hatte: „Wer heute aus welchen Gründen Bio kauft!“. Als in der anschließenden Diskussion die Sprache auf Ja! Natürlich, die größte österreichische Eigenmarke für Produkte aus öko-zertifizierter Landwirtschaft, kam, ging ein Raunen durch die Runde. Weniger mir als einander begannen die Damen ihr Leid und ihre Erfahrungen mit der Eigenmarke des mächtigen REWE-Konzerns (Billa, Merkur, Penny, Bipa, Adeg) zu klagen. Einige der anwesenden Bäuerinnen – durchwegs beeindruckende Frauen und geradewegs beseelt von der Bio-Philosophie – hatten sogar aufgehört, dem Konzern ihre schlachtreifen Jungrinder zu liefern. Doch nicht die bekanntermaßen harten Verhandlungsmethoden des Konzerns waren der Grund – sondern die neuen strengen Tierschutzvorgaben von Ja! Natürlich. Da Billa und Merkur seit einiger Zeit kein Bio-Fleisch mehr von Jungrindern vermarkten, die ihr Leben angebunden im Stall verbracht haben, hätten sie ihren bislang fixen Abnehmer verloren. Die Forderung der Weide- oder Laufstallhaltung fanden die Damen unzumutbar und ungerecht – eben weil dieses Kriterium von Ja! Natürlich strenger ist, als das der allgemeinen Bio-Vorgaben. Die Investition in einen modernen Stall wäre unleistbar. Ihr Bio-Fleisch müssten sie deshalb derzeit – mangels eines Bio-Abnehmers – zum deutlich billigeren Preis als konventionell produziertes Rindfleisch verkaufen. Auch vielen anderen Bäuerinnen und Bauern würde es ähnlich gehen, wurde berichtet. Was zu der absurden Situation geführt hat, dass derzeit ziemlich viel nicht deklariertes Bio-Rindfleisch von einer großen Fast Food-Kette zu Burgern verarbeitet würde. Ausgerechnet.

Bio-Kühe werden nicht mit der Hand gemolken

Dabei handelt es sich nicht nur um eine nette Anekdote, sondern auch um einen für mache vielleicht überraschenden Beleg dafür, dass Bio nicht gleich Bio ist – und die Bio-Welt ebenso wenig eine Idyll wie die Welt an sich schwarz-weiß. Wer etwas anderes behauptet, ist uninformiert, naiv oder überzeichnet bewusst.

Uninformiertheit und Naivität kann man Clemens G. Arvay wohl eher nicht unterstellen – der Autor ist Agrarbiologe. Überzeichnung dürfte allerdings das Stilmittel seines neu erschienenen Buchs „Der große Bioschmäh“ sein, das in der österreichischen Bio-Branche dieser Tage für Aufregung sorgt. Ich werde zu diesem Buch nichts sagen, bevor ich es nicht gelesen habe – beim Verlag bestellt habe ich es bereits. Auf einige Reaktionen und Wortmeldungen, die eine „Rezension“ des Buches im Forum von DerStandard.at ausgelöst hat, möchte ich dennoch vorab eingehen.

Vorweg: Die durch Arvays Buch ausgelöste Diskussion ist notwendig, weil sie von der Branche und Bio-Szene (wo Themen wie Bio-Bauersterben, Konzerndruck, etc. die längste Zeit diskutiert werden) auf breitere Konsumentenschichten übergreift. Dass die Diskussion nötig ist, zeigen auch einige Postings unter dem Artikel, die absurd anachronistisch und uninformiert argumentieren. Kann man einem Unternehmen allen Ernstes vorwerfen, dass sich das in TV-Spots teilweise bewusst karikierte Bauernidylle in der Realität nicht so darstellt, wie man das aus den Heimatfilmen aus der Nachkriegszeit kennt? Das ist Werbung und die ist – auch im Bio-Universum – nach eigenen Kriterien zu messen. Niemand, der einmal Red Bull getrunken hat, wird dem Unternehmen dahinter ernsthaft vorwerfen, dass ihm nach Konsum des Energy Drinks keine Flügel gewachsen sind – bloß weil das in Werbespots behauptet wurde. Ja, natürlich werden auch Bio-Kühe nicht mit der Hand gemolken, werden Bio-Erdäpfel nicht händisch aus der Erde gebuddelt, werden auch Bio-Mastschweine nicht durch Streicheln zu Schinken verarbeitet, und sprechen auch Bio-Ferkel nicht in echt zu uns Menschen oder pilgern gar mit ihrem Bauern gen Sizilien um zu erkunden, wo Bio-Zitrusfrüchte wachsen.

Die Entwicklung des Bio-Bewusstseins

Und: Ja, natürlich darf man sich von Bio erwarten, dass Tiertransportwege möglichst kurz ausfallen und Schlachtungen schonender passieren als in der konventionellen Agrarindustrie. Zwar darf nicht verallgemeinert werden, doch gibt es sicherlich Handlungsbedarf – auch das ein Grund, warum eine offene Diskussion gut und längst fällig ist und nichts schöngeredet werden darf. Dennoch: Bio 2012 ist – zum Glück – nicht vergleichbar mit Bio 1982 als ein paar Freaks (ich meine das jetzt anerkennend) vom Rest der Welt zu weltfremden Spinnern erklärt wurden und sich gegen alle Widerstände behaupten mussten. 2012 ist Bio in Teilen des gesellschaftlichen Mainstreams angekommen – zumindest in Österreich. Das ist nicht nur das Verdienst genannter Vorkämpfer, sondern eben auch der kritisierten Handelskonzerne, die in Österreich seit Mitte der 90er-Jahre einen Bio-Markt und ein Bewusstsein entwickelt haben, um das Österreich von Bio-Produzenten in aller Welt beneidet wird. Der erste große Vorreiter in Österreich war eben Rewe mit seiner Marke Ja! Natürlich, das Bio-Wachstum der letzten Jahre bescherte der Branche zu einem großen Teil „Zurück zum Ursprung“, die Bio-Eigenmarke des Diskonters Hofer (Aldi). Nun kann man bedauern, dass die Einkäufer eines Diskonters sich auch dem Bio-Segment mit den Mitteln, Herangehensweisen und der Dumping-Preispolitik eines Diskonters annähern. Man könnte aber auch begrüßen, dass Bio dadurch erstmals Bevölkerungsschichten nähergebracht wird, die sich davor nur schwer für Bio-Produkte begeistern konnten.

Faktum ist jedenfalls: Eine tendenziell immer urbanere Gesellschaft lässt sich nicht vollständig „ab Hof” und ausschließlich regional mit Bio-Produkten versorgen. Es gibt kein Zurück zum Ursprung – das belegt ironischerweise gerade der Erfolg der Marke selbigen Namens. Selbst verdienstvolle Öko-Kisten-Abo-Modelle wie das von Adamah beziehen ihre Bananen nicht aus Mitteleuropa und können den Bedarf an Bio-Obst und Gemüse nicht allein aus der unmittelbaren Nachbarschaft abdecken.

Wann ist genug für alle da?

Wer es mit Bio ernst meint – also nicht ausschließlich aus Ego-Gründen gesünder und deshalb bio isst – der muss außerdem danach trachten, dass Bio möglichst wächst. Möglichst global. Möglichst nachhaltig und trotzdem möglichst schnell.
Kann Bio die Welt ernähren?
Diese Frage wurde deshalb in Wien im März 2011 im Rahmen der Veranstaltung Bio Net erörtert, einem vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau organisierten Vernetzungsevent der Bio-Branche. Die Antwort war recht eindeutig: Nur, wenn Bio effizienter und produktiver wird. Und: Nur, wenn deutlich weniger Ressourcen in die Produktion von Fleisch gesteckt werden, ist genug für alle da. Sie kam von keinem Konzernvertreter, sondern von einem der profiliertesten Bio-Vordenker, dem Schweizer Urs Niggli: „Der Fokus auf den Ertrag ist etwas Wichtiges, um die Ernährungsversorgung garantieren zu können.“

Eine Weltbevölkerung von bald 8 Milliarden Menschen lässt sich nicht mit den vorindustriellen Produktionsbedingungen (die eines sicher nie waren: nämlich idyllisch) ernähren. Genauso wie sich eine Energiewende nur in einer veränderten Kulturlandschaft bewerkstelligen lässt, die weithin von Windrädern geprägt wird. Ein Zurück zum Ursprung wird es nie geben – außer wir verzichten kollektiv auf alle Annehmlichkeiten der Gegenwart. Und dazu ist kaum jemand bereit. Auch ich nicht.

Die Bio-Szene wächst und ist in Bewegung. Gerade von einem entwickelten Markt wie Österreich gehen viele Innovationen aus. Dennoch sind viele Fragen zu diskutieren. Einige davon warf der Schweizer Urs Niggli bei der Bio-Net-Veranstaltung in die versammelte Runde. Etwa:
„Sind wir innerhalb der Bio-Community genauso kritisch wie mit konventioneller Landwirtschaft?“.
Oder: „Darf man im Biolandbau überhaupt Visionen haben? – Oder wurde Bio einfach erfunden? Aus?“
Und: „Für welchen Biolandbau soll ich Visionen entwerfen? – Für LOHAS? Für Kleinbauern in Afrika? Für die Feldlerche – stellvertretend für Biodiversität?“

Ich möchte zwei Fragen ergänzen: Kann eine klein strukturierte Bio-Landwirtschaft überhaupt wirklich nachhaltig sein, wenn sie immer noch auf einer familiären Wirtschaftsweise baut, deren Basis eine lebenslange Partnerschaft zwischen Mann und Frau darstellt? Ist dieses Bild – ein Idyll, das manche Kritiker unbewusst, aber implizit mit ihrer Kritik an industrieller Bio-Produktion fordern – wirklich tauglich für das 21. Jahrhundert oder doch eher reaktionär?
Können alternative Ansätze einer „Community Supported Agriculture“ eine flächendeckende Versorgung mit Bio wirklich bewerkstelligen? Ich bezweifle das. In manchen Gegenden vielleicht. Aber im großen Maßstab wohl eher nicht.

Dialog und Diskurs

Was Bio 2012 braucht ist Diskurs und einen Dialog zwischen Produzenten, Konsumenten und auch den Händlern dazwischen. Wenn Bio außerdem eines brauchen kann, dann gutes Marketing, eine flächendeckende Verfügbarkeit und konsequente Konsumenten. Wem Produktionsbedingungen wirklich ein Anliegen sind, der sollte auf Aktionen von „Minus 25 Prozent auf alle Bio-Produkte“ nicht anspringen. Solche Schnäppchen sind vielleicht für Konsumenten und Händler ein Gewinn – sie gehen aber immer auf Kosten der Produzenten. Ein Boykott der großen Bio-Marken ist jedenfalls kontraproduktiv. Er bringt niemandem etwas. Am allerwenigsten den Biobauern. Diese würden dadurch bloß ihre sicheren Abnehmer und ihre Erwerbsgrundlage verlieren. Bio ist jedenfalls besser. Das ist nicht nur meine Überzeugung, sondern vor allem meine ganz persönliche Erfahrung. Dennoch gibt es viel Verbesserungsbedarf.

 

Empört euch? – Informiert euch!

Thomas Weber
@th_weber
Herausgeber von Biorama. Magazin für nachhaltigen Lebensstil

 

Update vom 27.01.2012:

PS: Weil es Mißverständnisse gab: Mein Kommentar ist KEINE Rezension des Buchs „Der große Bioschmäh“, sondern eine kritische Ergänzung einer meines Erachtens einseitig geführten Diskussion im Forum von DerStandard.at. Wie auch im Text oben klargestellt, habe ich das Buch noch NICHT gelesen. Mittlerweile ist das Buch allerdings eingelangt. Eine Rezension folgt.

PPS: In der ersten Version meines Texts war die Berufsbezeichnung Agrarbiologe unter ”Anführungszeichen“ gesetzt. Das war ein Fehler. Gedacht war es, den vielen Menschen mutmaßlich nicht geläufigen Beruf kursiv zu setzen. Das wurde mittlerweile geändert. Die Anführungszeichen waren jedenfalls nicht untergriffig gedacht.

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